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Freund oder Rivale?

Stille lag über dem großen, gepflasterten Hof. Die Sonne war gerade dabei ihren Schein langsam über die Mauer der Stadt zu schicken und das Szenario in sanftes Licht zu tauchen. Eine schwache Brise ließ die Banner hin und wieder aufflattern um kurz darauf wieder in sich zusammen zu fallen. 
In der Mitte des großen Kreises standen zwei in schwarz gekleidete Gestalten. Um sie herum, der Linie der beiden Halbkreise folgend, bewegungslos zwei Reihen von jungen Menschen, die darauf warteten, dass man sie beim Namen nannte. Es waren keine gewöhnliche Namen. Es waren Titel, die sie sich erarbeitet hatten oder die verliehen wurden aufgrund einer bestimmten Tat. Man konnte eine gewisse Anspannung spüren die sich auf dem Platz breit machte. Es sollte ein denkwürdiger Tag für sie alle werden. Der Tag, an dem sie als vollwertige Mitglieder ihres Ordens galten. Sie würden nun einander zugeteilt um im späteren Verlauf der Bruderschaft ehrenhaft zu dienen. Untereinander kannten sie sich nur durch ihr Erscheinungsbild oder ihre Namen. Die Gesichter des Anderen hatten sie noch nie gesehen. Das verbot ihr Kredo. Sie waren Krieger, Asassinen, Auftragsmörder, Diebe. Einander zu kennen barg das Risiko sich zu sehr aneinander zu binden. Denn oft genug endeten ihre Aufträge die sie zu bewältigen hatten auch mit dem Tod. So band man sich nicht unnötig eng aneinander und es war leichter einen neuen Partner an der Seite zu akzeptieren. 
Eine dunkle, raue Stimme hallte über den Platz, rief die ersten Beiden Namen aus. Es lösten sich zwei Gestalten aus ihren Reihen, traten vor die schwarz Gekleideten. Es folgte eine kurze Ansprache, dann wurde den Beiden etwas an ihre Kleidung gesteckt. Es handelte sich hierbei um das Symbol des Ordens: Ein Falke, in dessen Auge meist ein farbiger Edelstein eingebracht war. Dem Träger passend angeglichen.  
So lichteten sich die Reihen der jungen Rekruten, bis nur noch eine handvoll übrig war. Es entstand eine lange Pause. Als ob man sich uneinig wäre, wie man weiter verfahren sollte. Dann: „Nachtklinge!“. Ein großer junger Mann löste sich von seinem Platz und trat mit langen Schritten vor. „Schattenrose!“ Eine schmächtige Gestalt folgte dem Ruf und kam in der Mitte des Platzes ebenfalls zu stehen. Es war nicht ungewöhnlich, dass man ein Paar mit Mann und Frau bestückte. Allerdings war die Wahl bei diesen Beiden als Selektion gedacht. 
Nachtklinge war einer von denen, die sich besonders durch ihre Stärke und ihren Mut, sowie ihre Treue gegenüber dem Orden bewiesen hatten. Schattenrose dagegen war bis auf ihre herausragenden Fähigkeiten im Bogen schießen nicht besonders aufgefallen. Sie handelte man als eine der nur Mittelbegabten, während man ihm einen weitaus höheren Posten zutraute. Kannte man Beide, so war an ihrer Haltung leicht abzulesen, dass sie über die Wahl des jeweils Anderen nicht besonders glücklich schienen. Es stand ihnen aber nicht zu ihre Stimme gegen die der Meister zu erheben. So senkten sie ihre Häupter, wandten sich um und verließen gemeinsam den Platz. 
Sobald es ihnen wieder erlaubt war zu sprechen hob Nachtklinge, dessen Name eigentlich Borvin war die Stimme: „Wir wissen Beide, dass wir nicht glücklich über die Wahl unserer Meister sind. Dennoch bin ich gewillt sie nicht zu enttäuschen. Du wirst dich anstrengen müssen.“, er warf Schattenrose, deren Name Nuvija lautete einen abschätzenden Blick zu: „Ich habe nicht vor dich oder sie zu enttäuschen.“, entgegnete sie lediglich, erwiederte seinen Blick stur. Ein leises raunen seinerseits: „Das will ich doch auch hoffen.“  
Den Weg zum Speißesaal verbrachten sie schweigend. Am Mittag würde man sich dann gemeinsam zum Training wieder auf dem großen Hof einfinden. Es war nicht so, dass sie noch nie zusammen gekämpft hatten. Aber meist hatten sie sich dabei bekämpft. Bei ihren nun folgenden Einheiten würden sie lernen zusammen zu agieren. Nicht gegeneinander. 

„Ihr müsst lernen gemeinsam Schritt zu halten!“, der strenge Ton des Ausbilders hallte über den Regen und das Donnergrollen hinweg. Das Wetter war gekippt, eben so, als würde es seine Laune zum Ausdruck bringen wollen. Schwertmeister Hadre war unzufrieden mit seinen Schützlingen. Selten hatten die alten Meister ihm eine solche Herausforderung angetraut. Mit dem Kopf schüttelnd trat der Älter an die Beiden jüngeren heran. Er streckte die Hände aus, legte sie an die Schultern Borvins und drehte ihn leicht: „Ihr müsst jederzeit bereit sein einen überraschenden Angriff abzublocken. Dabei ist es Eure Aufgabe Euch selbst und Nuvija zu schützen. Sie wird auf die Führung Eures Schildarmes vertrauen müssen. Wenigstens innerhalb der ersten Sekunden.“, sprach er ruhig, aber bestimmt. Als er ein Nicken von Borvin wahr nahm ging er um diesen herum, wandte sich Nuvija zu: „Eure Schritte sind zu kurz für die Eures Gefährten. Gestaltet sie weiterhin so klein, aber dafür schneller. Ihr seid beweglicher als er. Ihr müsst fähig sein seinen Rücken zu decken und gleichzeitig für einen frontalen Angriff vorbereitet zu sein.“, er stieß mit der Fußspitze gegen Nuvijas linkes Bein und sie geriet für einen kurzen Blick aus dem Gleichgewicht: „Das darf nicht sein! Ihr müsst Euch um Eure linke Achse drehen können! Borvin kann seinen Schwertarm nutzen um Angreifer nieder zu strecken, ist aber mit seinem Schildarm in seiner Bewegung eingeschränkt wenn er angegriffen wird. Ihr müsst dafür sorgen, dass er hier wieder beweglich wird. Dabei ist ein festes Standbein von hohem Wert.“, erklärte er ruhig, aber mit einer gewissen Strenge in der Stimme. Auch Nuvija nahm er bei den Schultern, führte sie in die passende Position und trat ein paar Schritte zurück. „Nochmal! Denkt daran, dass Ihr jederzeit angegriffen werden könnt!“, forderte er die Beiden auf und kniff die Augen zusammen. Es erschloss sich ihm noch immer nicht, warum man ausgerechnet diese Beiden ausgewählt hatte. Sie waren vom Wesen, vom Waffentypus her so unterschiedlich, dass es ihm schwer viel die Beiden als eine Einheit zu betrachten und auch zu einer solchen auszubilden. Selbst wenn diese Ungleichheit auch einen großen Vorteil mit sich brachte, was die Flexibilität an Aufträgen anging, die sie später einmal bewältigen konnten. Vorausgesetzt sie würden einmal so zueinander finden, wie er es sich wünschen würde. 

Ein lauter Ruf übertönte ein weiteres Donnergrollen: „Kreuzzügler!“ 
Alarmiert blickte Hadre auf, als bereits die ersten Pfeile in das Innere des Hofes rieselten.
Borvin fuhr herum, hob instinktiv seinen Schild und senkte den Kopf auf die Brust. Nuvija drängte sich dicht hinter ihn, legte einen Pfeil auf die Sehne, wartete ab, bis der Pfeilhagel vorüber war. Das Bersten von Holz, dann das trampeln von vielen Schuhen auf Gestein, gemischt mit den hellen Klängen einer Glocke, die nun geläutet wurde. 
Schwer gepanzerte Krieger kamen den geschwungenen Weg hinauf, die Waffen im Anschlag hielten sie direkt auf die kleine Dreiergruppe zu. 

Erschöpft schloss sie für einen kurzen Augenblick die Augen, stieß die Luft aus ihren Lungen und wäre wohl fast zur Seite weggeknickt, hätte sie nicht jemand an den Schultern gepackt und in ihrem Stand stabilisiert. Verwirrt schlug Nuvija die Augen wieder auf. Borvin stand vor ihr, hatte die Hände an ihren Körper gelegt und betrachtete sie mit einem musternden Blick: „Du bist am Ende deiner Kräfte. Ruh dich aus. Mehr kannst du hier nicht mehr tun.“, er deutete auf das mittlerweile getrocknete Blut, welches ihren Unterarm sowie die Hand zierte: „Du hättest dich erst selbst versorgen sollen.“ fügte er ruhig hinzu. Nuvija seufzte schwer: „Es gibt noch Verwundete.“. „Keine, die deiner Aufmerksamkeit bedürfen. Komm.“, sie stützend, legte er ihren gesunden Arm um seine Schulter, griff sie an der Taille und führte sie wohl mehr tragend, als dass sie noch wirklich selbst ging zurück in ihr Zimmer. Dort lies er sie auf ihrem Bett nieder, warf nochmals einen Blick auf die Schnittwunde, welche sie erlitten hatte. Die Verletzung war nicht tief, nicht besonders ernst. Es schien, als würde sie den Schlaf nun dringender benötigen als weitere, ärztliche Verpflegung. Nuvija schien noch für einen Moment gegen die bleierne Müdigkeit anzukämpfen, ergab sich ihr dann aber. 
Es war schon fast ein kleines Wunder, dass sie den Angriff der Kreuzzügler überlebt hatten. Meister Hadre war bei einen der ersten Schwertstreichen gefallen. Er war unbewaffnet gewesen und hatte den Angreifern nichts entgegen zu setzen. Bei diesem Gedanken ballten sich Borvins Händen unweigerlich wieder zu Fäusten. Hadre war einer der Besten Ausbilder gewesen, die dem Orden angehört hatten. Seiner Ansicht nach wenigstens. Nun war er tot. Hätten Nuvija und er es nicht geschafft sich in einen der erhöhten Wachtürme zurück zu ziehen, wären sie vermutlich auch Opfer dieses Angriffes geworden. Während er den Zugang blockiert hatte, hatte sie von unterschiedlichen Positionen aus mit Pfeil und Bogen die Gegner getötet. Eine Taktik, die so lange getaugt hatte, bis die eigenen Kameraden sich in den Kampf gemischt hatten. Dann war die Kampfeswut in ihm Herr geworden und er hatte seine Position verlassen. Ein Fehler wie er nach der Schlacht festgestellt hatte. Auch wenn er selbst einige der Angreifer niedergestreckt hatte, so hatte er doch seine Kameradin schutzlos im Turm zurück gelassen. Hätte Nuvija sich nicht geschickt kletternd auf das Dach retten können, wäre sie vermutlich ebenfalls durch einen Schwertstreich umgekommen. 
Bei dem Gedanken glitt sein Blick wieder auf die Gestalt, welche nun im Bett lag und schlief. Er hatte nicht gewusst, dass sie in der Heilkunde so begabt war. Kaum war der Angriff vorüber hatte sie sich daran gemacht die Verwundeten zu verarzten und Schmerzen zu lindern, wo sie es konnte. Borvin hatte den Anderen geholfen die letzten Angreifer gefangen zu nehmen und die Festung wieder zu verbarrikadieren. Auch wenn sie keinen weiteren Angriff wohl vorerst zu fürchten hatten machte sich eine gewisse Unruhe in ihm breit.
Es war eine Schmach in der eigenen Festung angegriffen zu werden und dann solch herbe Verluste erleiden zu müssen. 
Borvin drehte sich um, verließ das Zimmer um den Anderen bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Auch wenn er selbst ebenfalls erschöpft war würde er noch einige Stunden ausharren müssen. Das war eine Herausforderung, die er sich selbst auferlegte. Meister Hadre hätte es wohl ebenso von ihm verlangt. Er wollte seine eigene Stärke testen, sich selbst erproben ob er tatsächlich den Willen aufbringen konnte seinen Körper aufrecht zu halten bis in die späten Abendstunden. Denn so lange würden sie wohl noch brauchen, bis sie die eigenen Toten aufgebahrt und alles so gesichert hatten, dass sie sich vorerst in Sicherheit wiegen konnten. 
Noch am frühen Abend entzündeten sie das große Feuer, welches die toten Körper ihrer Feinde verschlang. Es hatte aufgehört zu regnen und die große Rauchwolke fügte sich nahtlos in den dunkelgrauen Himmel über ihnen ein. 
Schweigend standen sie da, starrten auf die züngelnden Flammen. Jeder schien seinen eigenen Gedanken nach zu hängen. Die Rekruten hatten noch nie mit einem Kampf auf Leben und Tod zu tun gehabt. Viele, die am Morgen zueinander gefunden hatten waren wieder getrennt worden weil sie ihren Kameraden in der Schlacht verloren hatten. Sie würden bald wieder neu zugeteilt werden. Dennoch hinterließ es einen faden Beigeschmack auf den sie Alle hätten verzichten können. 
Stoisch hatte Borvin seinen Blick ins Feuer gerichtet, als Eros, einer der Älteren Krieger des Ordens an ihn heran trat: „Es gibt eine Aufgabe für Euch.“, murmelte er leise an sein Ohr und zog aus seinem Gewand eine Pergamentrolle, welche er Borvin weiter gab; „Ruht Euch in dieser Nacht aus. Öffnet morgen früh dieses Schreiben, rüstet Euch und macht Euch spätestens zur Mittagsstunde mit Eurer Kameradin auf.“, fuhr er ebenso leise wie er begonnen hatte fort und zog sich dann wieder zurück. 
Borvin betrachtete das Pergament in seiner Hand kurz, bevor er es unter seinen Umhang gleiten ließ. Die Müdigkeit wurde kurzzeitig von einem Adrenalinschub beiseite gefegt. War das nun der erste, offizielle Auftrag der alten Meister für sie? So kurz, nach solch einer Schlacht? 
Mit einem letzten Blick auf das Feuer wandte er sich ab um sein Gemach aufzusuchen und sich auszuruhen, wie man ihm geheißen hatte.

Der erste Auftrag

Ruhig schritten die die Pferde dahin. Es war bereits in den Mittagsstunden des nächsten Tages und die Sonne prallte unbarmherzig auf sie herab. Um die Tiere zu schonen hatten sie beschlossen langsamer zu reiten. Zwar sollten sie ihr Ziel noch vor dem Abend erreichen aber die Tiere mussten jederzeit fähig sein eine längere Strecke im gestreckten Galopp zurück zu legen. Sie hatten ein enges Zeitfenster und sollten spätestens bis zum nächsten Abend wieder in der Festung sein. 
Borvin warf Nuvija einen kurzen Seitenblick zu. Noch immer wirkte sie mitgenommen vom gestrigen Angriff, schien sich das aber nicht weiter anmerken lassen zu wollen. Eine Bandage, getränkt mit einem bestimmten Kräutersaft, den sie selbst angerührt hatte verdeckte ihre Verletzung. Er selbst hatte sich recht gut erholt. Seine Gedanken kreisten lediglich unablässig um das Warum: Warum hatte man sie beide ausgewählt um in Feindesgebiet zu spionieren? Sie hatten noch nicht einmal zueinander gefunden, da schickte man sie bereits auf ihren ersten Auftrag. War es eine Probe? War es reiner Selbstmord? Der Auftrag auf dem Pergament war scheinbar eilends nieder geschrieben worden. Hier und da waren Tintenschmierer erkennbar gewesen. 
„Borvin.“, Nuvija hielt ihr Pferd an. Der eben Genannte zügelte sein Reittier ebenfalls, sah überrascht zu der Jüngeren hinüber. Diese deutete bei seinem fragenden Blick in die Ferne. Erst erkannte er kaum etwas, bis ihm der aufgewirbelte Sand auffiel welcher sich schemenhaft vom Horizont abhob. „Meinst du es sind weitere Streitkräfte?“, sie stellte ihm die Frage, die kurzzeitig auch in seinen Gedanken aufgeblitzt war. „Unwahrscheinlich.“, entgegnete er dann, zuckte kurz mit den Schultern: „Das gäbe keinen Sinn. Keiner von ihren Soldaten ist zurück gekehrt. Sie müssen wissen, dass wir sie geschlagen haben.“ „Und wenn es nur war um uns jetzt in Sicherheit zu wiegen?“, Nuvija griff die Zügel ihres Pferdes fester: „Sie müssen ebenfalls Späher geschickt haben. Noch in der Nacht.“. Borvin gab ein dunkles Grummeln von sich. „Das wäre beunruhigend.“, gab er zu Bedenken. Sie nickte kurz: „Es wird schwierig sein sich ihnen zu nähern ohne aufzufallen.“ „Was, wenn es nur eine große Karawane ist?“, Borvin trieb sein Pferd wieder an, damit es langsam vorwärts trat. Nuvija zögerte kurz, bevor sie sich ebenfalls zum weiterreiten entschloss: „Etwas sagt mir, dass dem nicht so ist.“ „Seit wann kennst du dich so gut mit Kriegsführung aus? Soweit ich weiß warst du währenddessen meist in deine Bücher vertieft.“, Borvins Stimme hatte einen gewissen Spott an sich, den Nuvija zu ignorieren versuchte.
Sie kannten einander nicht besonders gut. Natürlich genossen sie eine gemeinsame Lehre und trainierten hin und wieder auch miteinander. Aber in dieser Zeit hatte man nur wenig eng Bekannte. Jeder war darauf aus sich selbst zu schulen, besser zu werden. Borvin war sich eigentlich sicher gewesen, dass einer seiner Freunde den Platz an seiner Seite annehmen würde. Oder wenigstens eine Schildmaid. Aber nein. Die Meister hatten ihm Nuvija zur Seite gestellt. Sie war in seinen Augen zu zart besaitet, als dass sie wirklich Bestand in der Gilde hatte. Ihre Kampfkünste waren mittelprächtig, ihr taktisches Denken nicht unbedingt das Beste. Einzig und Allein ihre Bogenschießkünste hatten ihn beeindruckt. Auch wenn er das wohl nie zugegeben hätte. Und sie hatte ein besonderes Talent darin ungesehen irgendwo hinein zu kommen… so lange sie nicht in ihrer Tollpatschigkeit  eine Vase umstieß oder dergleichen. Zudem hatte sie im Unterricht häufig vor sich her geträumt. Vor Allem wenn es um die taktische Kriegsführung ging. 
Er selbst hatte sämtliches Wissen wie eine junge Pflanze das Wasser aufgesaugt und gelernt. Stundenlang hatte er trainiert um seine Kampfkünste zu perfektionieren. Bald hatten seine Freunde keine Lust mehr gehabt gegen ihn anzutreten und der Ausbilder selbst hatte ihn zum Training gefordert. Er war stolz darauf, was er erreicht hatte. Auch wenn er dafür Familie und Heim hatte zurück lassen müssen. Und selbst wenn Nuvija sagte, dass es möglicherweise feindliche Truppen waren, so war er sich doch sehr sicher, dass es eine Handelskarawane war die da am Horizont Staub aufwirbelte. 

 

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Der Auftrag

Innerhalb weniger Sekunden hatten sich ihre Ledernen Stiefel mit Wasser gefüllt. Sie war so auf die feindliche Festung vor ihnen konzentriert gewesen, dass sie vergessen hatte, dass sie am Flussufer entlang gegangen waren. Mit einem kurzen Blick auf den Untergrund orientierte sie sich an den Fußspuren von Borvin, der bis vor wenige Augenblicke noch direkt vor ihr gelaufen war. Sie hatte sich ein wenig seitwärts gedreht um den Blick frei zu haben. Er war so viel größer als sie selbst, dass sie sich meist strecken musste wenn sie einen freien Blick über seine Schulter nach vorne haben wollte. So war ihr auch das Missgeschick passiert welches prompt mit nassen Stiefeln geahndet wurde. Die junge Assassine fluchte innerlich. Sie könnte nicht nur sich selbst sondern auch ihren Wegbegleiter in Gefahr bringen. Eine, die hätte vermieden werden können. Wie hatte sie so leichtsinnig sein können? Würden sie an dem Sandstein entlang klettern müssen, dann würde man ihre Fußabdrücke sehr gut auf dem weichen Gestein erkennen können. „Warte“, ihre Worte waren noch nicht einmal gänzlich ausgesprochen, als die Gestalt vor ihr bereits zum Stehen gekommen war. Der Felsen ragte fast schon bedrohlich in der Ferne auf. Sein Schatten zog sich bereits durch das kleine Tal und verriet, dass die Sonne bald den Horizont erreichen würde. Es würde eine Zeit anbrechen, die der jungen Frau nicht behagte. 
„Wo soll sich das Pergament befinden?“, dunkel drang seine Stimme zu ihr herüber ohne, dass er den Kopf in ihre Richtung wandte. Er schien ebenso eingenommen von dem massigen Koloss, welcher sich dort auftürmte. Die junge Assassine knirschte leicht mit den Zähnen. Eine Andeutung darauf, dass sie sich über sich selbst ärgerte. So dauerte es einen Moment, bis sie auf seine Frage antwortete: „Einer der Anführer trägt es bei sich. Oder hat es in einer Schatulle, möglicherweise auch in einer Truhe aufbewahrt. Wohl gut bewacht“. Nuvija wandte den Kopf leicht in seine Richtung, versuchte -wie so oft vergeblich- eine Gesichtsregung auszumachen. Etwas, das ihr verriet, was er dachte. Aber ihre Augen erfassten nur blank polierten Stahl. Eine eiserne Maske, die keinen Blick in das Gesicht des Trägers zu ließ. Bis auf die Augen.
„Dann wird es wohl klüger sein die Nacht abzuwarten.“, bei seinen Worten wandte er nun das Gesicht in ihre Richtung und sie konnte sehen, wie die dunklen Augen sie wohl mit einem Hauch der Besorgnis musterten. Er wusste um ihre Schwäche sehr genau. Wohl besser als ihr es wirklich lieb war. Leise stieß sie die Luft aus den Lungen, presste die Lippen aufeinander und erwiederte seinen Blick. Dann folgte ein knappes Nicken. Kurzerhand löschte er die Fackel, welche ihnen in der hereinbrechenden Dunkelheit noch ein wenig Helligkeit gespendet hatte und befestigte sie wieder an seinem Gürtel. 
Unweigerlich führte sie ihre Schritte näher an ihn heran, suchte in seiner Nähe die vertraute Sicherheit welche er für sie darstellte. Nicht, dass sie ihn berührt hätte. Es war für sie lediglich die Gewissheit, dass er in ihrer unmittelbarer Nähe war und das bedeutete, dass sie sich nun an seinen Schritten orientieren würde. Nicht so wie zuvor, dass sie abweichen und nasse Füße riskieren würde. Nein. Man würde sie in den wenigen Minuten die ihnen die letzten Sonnenstrahlen noch schenkten wohl kaum von seinem Schatten, der nur noch bleich auf den sandigen Untergrund geworfen wurde unterscheiden können. 
„Wie es scheint gibt es keinen direkten Aufgang. Selbst wenn, sollten wir versuchen ungesehen dort hinein zu gelangen.“, es klang schon fast wie eine übliche Floskel, die sie aussprach. Er antwortete nicht darauf, begann sich aber langsam und mit vorsichtigen, geschmeidigen Bewegungen dem besagten Felsen, auf dem sich ihr Ziel befinden sollte zu nähern.
So dauerte es nicht lange und Borvin hatte wohl einen Aufgang gefunden, der für sie geeignet war ohne großes Aufsehen zu erregen. Probehalber griff er an das Gestein, zog sich hoch und setzte die Füße in einen hervorstehenden Felsen. Sie selbst richtete ihre Augen auf die Umgebung. Angespannt, bereit den Bogen vom Rücken zu nehmen um einen feindlichen Fernkämpfer zu töten, noch bevor er ihnen Schaden zufügen konnte. Aber es schien sie niemand bemerkt zu haben. Kaum war Borvin über den Rand des ersten Absatzes verschwunden folgte sie seinem Beispiel und erklomm die sandige Felswand. Der Größere deutete ihr sich zu ducken und zu schweigen kaum, dass sie über den Rand geklettert war. Dann wies er mit der Hand nach oben. Sie presste sich leicht an die Wand neben ihr, hob den Kopf etwas an und erkannte, was er gemeint hatte. Direkt über ihnen schien ein Eingang in das Lager zu sein. Aber war es tatsächlich unbewacht? Eine solch offensichtliche Schwachstelle der Anlage? Borvin deutete auf sich selbst, dann auf den kleinen Vorsprung. Sie zögerte kurz, gab dann aber mit einem kurzen Nicken ihr Einverständnis mit der Deutung, dass sie ihm folgen würde. Für einen kurzen Augenblick schien er unentschlossen, setzte sich dann aber wieder stumm in Bewegung. Nuvijas größte Sorge war es, dass Borvin abrutschen und stürzen könnte. Sie selbst trug stets eine leichte, sehr bewegliche Rüstung. Zwar mochte sie auch nicht besonders viel Schutz bieten, gewährleistete sie aber Beweglichkeit und Leichtigkeit. Etwas, das Borvin nicht am Leib trug. Er bevorzugte eine schwere Rüstung und auch derlei Waffen. Somit würde der lose Sandstein unter seinem Körper wohl eher wegbrechen als unter ihr selbst.
Stumm wartete sie ab, bis sich ihr Gefährte ein Stück über den Rand schob um einen Blick auf das werfen zu können, was sie erwartete. Er schien zu überlegen, bevor er dann vorsichtig kurz eine Hand von dem Gestein löste und mit einer Geste andeutete, dass direkt vor ihnen wohl zwei betrunkene Wachleute standen und sich ihrer Sinne beraubten. Ansonsten schienen keine weiteren Wachen in unmittelbarer Nähe. Mit einem leichten Nicken signalisierte sie ihm, dass sie bereit war. Gemeinsam würden sie über die Kante klettern um dann die beiden Wachleute möglichst schnell und geräuschlos auszuschalten, was ihnen im Ansatz gelang. Durch die Verwinkelung des Lagers hatte man durch einen kurzen Blick nicht viel mehr erkennen können als soeben genannte Wächter, die bereits nach wenigen Augenblicken tot auf den Boden nieder fielen. Ihr Eindringen war aber leider nicht unbemerkt geblieben und so sahen sich Beide gezwungen sich einen offenen Kampf zu stellen. Während Borvin sich selbst und auch Nuvija mit seinem Schild schützte, beschoss sie die Gegner mit ihrem Bogen. Eine Taktik, die meist sehr gut funktionierte. In solch einer Situation suchte sie meist immer den leichten Kontakt zu seinem Körper, seiner Rüstung, um auf seine Bewegungen reagieren zu können ohne erst genauer hinsehen zu müssen, was er als nächstes tun würde. Sie war auf den Schutz der von ihm ausging angewiesen um sich auf das Abschießen ihrer Pfeile konzentrieren zu können. 
Als das Sirren der Sehne versiegte wurde es wieder still um sie herum. Nun waren es die Fackeln die mit ihrem tanzenden Bewegungen die Toten verhöhnten, so schien es. 
Borvin schob sich ein Stück weit nach vorne um eine bessere Sicht zu haben, während sie ihm wie automatisiert folgte. So gelang es ihnen weitere Wächter und einen Priester lautlos zu töten, wobei der Priester nicht durch einen Pfeil, sondern die Klinge Borvins fiel. Er war es auch, der die Truhe öffnete und das Pergament heraus nahm. Kurz überflog er die Seiten, nickte dann zufrieden: „Das muss es sein.“, raunte er leise in ihre Richtung und ließ es in einer ledernen Umhüllung an seinem Gürtel gleiten. „Wir sollten einen Ausweg suchen, unser Eindringen wird bestimmt..“, Nuvija brach sich im Satz ab, ging leicht in die Hocke. Dort am Felsspalt, an welchem sie herauf geklettert waren sammelten sich einige der Banditen. Borvin nickte knapp in ihre Richtung, deutete auf einen schmalen Holzpfad der aus der kleinen, Gemachartigen Höhle hinaus führte. Nuvija tötete den alleinigen Wachposten mit einem ihrer Pfeile lautlos, hielt dann inne, schüttelte den Kopf: „Es sind zu viele.“, whisperte sie leise in seine Richtung, presste sich an die Wand, dass er an ihr vorbei blicken konnte. Ihr einzig sichtbarer Ausweg bestand aus einer Hängebrücke, die sich zwischen dem Felsen und dem ‚Festland‘ spannte. Doch waren bis dorthin mehr als ein Dutzend Banditen. Zu viele für einen offenen Kampf bei dem man von allen Seiten angegriffen werden konnte. „Laufen?“, er sah sie leicht fragend an, wandte seinen Blick nicht ab, während sie nochmals unsicher die Menge musterte als plötzlich Rufe von unterhalb laut wurden. Man hatte ihr eindringen bemerkt. „Gut.“, sie stieß sich leicht von der Wand ab, atmete die kühle Nachtluft ein und begann zu rennen.
Viel von dem Getümmel bekam sie nicht mit. Hauptsächlich war sie damit konfrontiert den Waffen der Banditen auszuweichen und einen Weg durch sie hindurch zu finden, als sich wirklich auf einen Kampf einzulassen. Die schweren Schritte der metallenen Stiefel hinter hier waren ihre einzige Versicherung, dass Borvin noch in ihrer Nähe war.  Doch kaum hatten sie die Hängebrücke erreicht begann der Wind auf einmal zu drehen, wütend an ihrer Kleidung zu zerren. Die Luft veränderte sich, wurde stickig und scharf zugleich. Ein Sandsturm. 
Sie schwankte kurz, als der Wind plötzlich zunahm, fand aber wieder Halt und rannte weiter. Das Knarren der Bretter unter ihren Füßen beachtete sie nicht weiter.
Kaum hatte sie wieder steinigen Untergrund unter den Füßen wandte sie sich kurz um, vergewisserte sich, dass Borvin noch immer direkt hinter ihr lief. Doch was sich vor ihr auftat, damit hatte sie nicht gerechnet. Sie waren mitten hinein in das Lager der Banditen geraten. Erste Sandkörner bohrten sich in ihre Haut und als sie den Blick ein wenig hob, sah sie den Sandsturm bereits, wie er sich direkt in ihre Richtung  aufbäumte, an Kraft und Gewalt zunahm. 
Borvin packte sie am Arm, zerrte sie vorwärts. Scheinbar hatte sie bei dem Anblick des Sturms fast vergessen, dass sie gerade um ihr Leben liefen. Kaum hatte sie sich ebenfalls wieder in Bewegung gesetzt, gab er ihren Arm wieder frei. Die Leiber um sie herum wurden schon bald unscharf, ihre Silhouetten nur noch schemenhaft. Sie rannte, versuchte einen Ausgang aus dem Lager ausfindig zu machen, bildete sich ein eine kleine steinerne Brücke zu sehen. Oder war es ein Felsvorsprung? Irritiert wandte sie sich um die eigene Achse, stolperte beiseite als eine Klinge in ihre Richtung gerichtet wurde und taumelte, als ihr Körper vom Wind erfasst wurde. Sie rief ihren Gildenbruder beim Name, bildete sich ein ihn genau dort auszumachen, wo sie auch schon den Felsvorsprung entdeckt hatte. Es wirkte, als hielt er direkt darauf zu. 
Kurz entschlossen folgte sie ihm, hob dabei den Arm schützend vors Gesicht, als der Sturm an Stärke gewann. Sie sah, wie er sprang um eine Distanz zu überwinden, als der Boden unter ihren Füßen plötzlich brökelte. Aus dem Gleichgewicht geraten versuchte sie sich an der schemenhaften Gestalt vor sich zu orientieren, drückte sich von dem losen Untergrund ab, spürte, das es nicht ausreichen würde. 
Nuvija sah den Aufprall nicht kommen, spürte nur, wie ihr Körper gegen den rauen Fels stieß. In ihrem Kopf machten sich mit einem Schlag unerträglich wirkende Schmerzen breit. Ohne die Möglichkeit sich abzufangen suchte sie vergebens mit den Händen nach Halt, fand ihn nicht. Vor ihren Augen begann sich das Bild flackernd zu verdunkeln, als sich ein eiserner Griff um ihr Handgelenk legte, sie am schwerelosen Fall, den sie erwartet hatte hinderte. Dann siegte die bleierne Schwärze.
 
Er hatte gesehen, dass sie es nicht schaffen würde. Der Fels war unter ihren Füßen weggebrochen. Er hatte sich bereit gemacht Verfolger direkt nieder zu strecken. Jetzt beugte er sich nach vorne, streckte die Hand aus um nach Nuvija zu greifen. Es gelang ihm sie am Handgelenk zu packen, sie vor dem Sturz in die Tiefe zu bewahren. Dennoch kostete es ihn einiges an Kraft ihren Körper über die Kante zu sich hinauf zu ziehen. „Nuvija!“, seine Stimme war gedämpft, durch den Sturm. Doch die Assassine rührte sich nicht. Besorgt musterte er ihr Gesicht, sah, wie ein Rinnsal von Blut über ihre Stirn lief. Kurz entschlossen schob er seine Hände unter ihren Körper, stemmte sich auf. Er musste einen Unterschlupf suchen, bis der Sturm sich legen würde. Zu seinem Glück fand er auch einigen Minuten Suche ein wenig höher gelegen eine kleine Felshöhle, die genügend Schutz vor dem Sandsturm bot. 
Dort legte er Nuvija vorsichtig auf dem Boden ab, haderte mit sich selbst. Es war ihm nicht erlaubt einer Gildenschwester die Maske abzunehmen. Aber er musste es tun. Wer wusste schon wie schwer sie verletzt worden war? Zögernd kniete er sich neben sie nieder, stieß die Luft aus seinen Lungen und nahm dann den Stoff von ihrem Gesicht um die Wunde besser betrachten zu können. Dabei überkam ihn der Drang sein eigenes Gesicht ebenfalls aufzudecken. Er war gezwungen ihr Gesicht zu enthüllen, warum sollte sie dann nicht auch das Seine sehen? Sie kannten einander nun schon länger, hatten zusammen viel durchgestanden. Vielleicht…. auch wenn es verboten war… war es doch ein Schritt weiter in die Vertrautheit? So nahm er nach kurzer Überlegung die eigene Maske ab, löste den Wasserschlauch von seinem Gürtel um die Platzwunde an ihrem Kopf zu säubern. 
Unruhig wandte sie den Kopf hin und her, stöhne dann leise auf, als sie wummernde Kopfschmerzen wieder im hier und jetzt empfingen. Die Augenlider wirkten unglaublich schwer, als sie blinzelte, das Bild vor ihr sich nur langsam schärfte. Dann sprach jemand ihren Namen. Nuvija blinzelte erneut, jemand hatte sich über sie gebeugt. Jemand, den sie nicht kannte. Ein ihr fremdes Gesicht. Erschrocken richtete sie sich ruckartig auf, holte aus und schlug dem Fremden reflexartig ins Gesicht, wandte sich dann hektisch zur Seite. Fast schon panisch griff sie nach ihrem Bogen, legte ein wenig unkoordiniert einen Pfeil auf die Sehne und wollte diese gerade spannen, als eine vertraute Stimme an ihr Gehör drang. „Nuvija, nicht!“, der Fremde hob abwehrend die Hände. „Nuvija!“, der Fremde wiederholte ihren Namen und die Angesprochene begann langsam zu realisieren, wen sie da vor sich hatte. Ihr Blick glitt über den Körper ihres Gegenübers und dann zu dessen Gesicht. Sie erkannte seine Rüstung. Aber… was hatte er getan? Warum sah sie sein Gesicht?! Langsam senkte sie ihren Bogen wieder, löste die Rechte und fasste sich selbst an die Stirn. Feuchte.. Nässe… Blut? Sie betrachtete ihre Fingerspitzen, an der rote Flüssigkeit klebte und sog dann zischend die Luft ein, als ein pochender Schmerz sich in ihrem Kopf breit machte. 
„Es ist alles gut. Du bist gestürzt, hast das Bewusstsein verloren. Ich habe dich hierher gebracht.“, Borvin begann vorsichtig zu sprechen, rieb sich dabei das Kinn, welches durch den harten Schlag Nuvijas wohl doch etwas schmerzte. 
Die Jüngere lies ihren Blick über den Boden schweifen, entdeckte die beiden abgenommen Masken und begann weiterhin zu realisieren, dass Borvin ihre Wunde scheinbar gereinigt hatte. Und weil er nicht gesehen hatte, wie stark die Verletzung gewesen war, hatte er ihr die Maske abgenommen. 
Ein unangenehmer Schauer fuhr ihr über den Rücken: „Du weißt..“, begann sie langsam und Borvin nickte: „Ich weiß. Unser Kredo verbietet es uns. Und deshalb sollten wir das auch für uns behalten.“, entgegnete er und ließ sich wieder auf dem Steinboden nieder. Draußen tobte noch immer der Sandsturm.
 Nuvija schwieg für einen Moment, lehnte sich dann seitlich gegen die kühle Steinwand: „Danke, dass du mich gerettet hast.“ richtete sie ihre Worte dann direkt an ihren Gegenüber, welcher schwach mit dem Kopf nickte: „Ich hätte dich nicht zurück gelassen.“, entgegnete er dunkel und bemühte sich um ein Lächeln. Nuvija sah ihn direkt an: „Andere hätten es sehr wohl getan…“ „Aber wir sind nicht die Anderen. Und deshalb sind wir auch die, die man auf solche Missionen schickt. Weil wir einander helfen. Egal in welcher Situation. Wir lassen einander nicht im Stich.“ entgegnete Borvin mit einer gewissen Strenge in der Stimme, die jeglichen Zweifel im Keim erstickt hätte. Nun war es Nuvija, die sanft lächelte und ein Nicken andeutete: „Du hast Recht. Wir haben schon viel zusammen erlebt.“, sie griff an ihren Gürtel und löste ein kleines Fläschchen um es Borvin zu reichen: „Falls wir wieder in eine ähnliche Situation kommen. Ein Heiltrank.“, erklärte sie ihr Handeln und ihr Gegenüber nickte leicht, griff nach dem gläsernen Behälter. Dabei berührten sich ihre Hände und es war, als würde sich ein kurzer Schauder in ihm ausbreiten. Es war nicht so, dass sie einander nicht nahe standen. Aber bis jetzt hatten sie nie die Gesichter des anderen gesehen. Das schuf eine Nähe, die Borvin so niemals auch nur erahnt hätte.
Nuvija hatte sanfte Gesichtszüge, weich, als hätte sie noch nie getötet oder Leid erfahren. Man konnte eine gewisse Härte erkennen, wenn sie die Lippen aufeinander presste und die Augen zu erkalten schienen. Ihre Augen waren es, die er mit der Zeit lesen gelernt hatte. Das stechend helle Türkis konnte in sämtlichen Varianten glänzen oder auch wie trübes Wasser wirken. Und erst jetzt fiel ihm bewusst auf, dass ihre Augenbrauen die gleiche sonderbare Färbung hatten wie ihr Haar. Es hatte die Farbe einer zarten Rosenblüte. Ein mattes Rosa. 
Nuvija bemerkte, wie genau Borvin sie musterte und lehnte nun auch den Kopf an die Steinwand, um es ihm gleich zu tun. Hätte sie nur sein Gesicht gesehen, hätte sie ihn älter geschätzt. Er wirkte auf sie streng, nachdenklich und auf seine ganz eigene Art und Weise verbissen und sanft zugleich. Sie glaubte eine gewisse Sorge in seinen blauen Augen erkennen zu können, was aber im Augenblick auf nicht verwunderlich war. Das Blau seiner Augen war dunkel, fast nicht als solches erkennbar. Aus welcher Gegend er wohl stammte? Seine Hautfarbe war ein klein wenig Dunkler als die Ihre. Aber das hatte sie schon früh festgestellt. Bei diesem Gedanken musste sie unweigerlich schmunzeln. 
Borvin verzog das Gesicht: „An was denkst du da gerade?!“, fragte er, während sie sich gegenseitig zu mustern schienen, dabei jeder seinen ganz eigenen Gedanken nachging. 
Nuvija antwortete ihm nicht sofort, wusste sie nicht so recht wo genau sie anfangen sollte. Sie wartete, bis er mit seinem Blick von ihr abließ und damit begann in seiner Tasche nach etwas zu suchen. Wohl nach Proviant. 
„Nun… es ist wahrlich das erste Mal, dass ich dein Gesicht sehe. Aber… wie soll ich sagen. Ich es nicht ein wenig seltsam, dass ich eher deinen Körper kenne, als dein Gesicht?“, sie lachte leise auf, hielt sich kurz darauf den Kopf, als die pochenden Schmerzen rabiat zunahmen. 
Borvin hielt kurz inne, schien zu überlegen, was Nuvija genau meinte: „Du meinst die Geschichten? Ach..“, er winkte ab. „Der Spaß war es mir wert.“. entgegnete er mit einem kurzen Abwinken und lachte kurz auf. „Schließlich wusste ich ja, dass ich mich auf dich verlassen kann.“, er räusperte sich etwas und Nuvija prustete verächtlich: „Ich bin viel zu gut zu dir.“ bemerkte sie scherzhaft, schloss dann die Augen um den dumpfen Schmerz in ihrem Kopf etwas zu dämpfen. 
Borvin schwieg daraufhin und lauschte dem Toben des Sandsturms. Scheinbar wollte er so schnell nicht nachlassen. Es war nicht der erste Sandsturm, der die Beiden überraschte. Manche vergingen innerhalb weniger Minuten und andere konnten Stunden, ja in seltenen Fällen auch Tage andauern. So zog er das Pökelfleisch, nach welchem er gesucht hatte aus seiner Tasche und biss ein Stück davon ab. Während er auf dem Fleisch kaute glitten seine Augen wieder zu Nuvija. Da fiel ihm erneut die Kette auf, die nur knapp unter dem Unterkleid ihrer Rüstung hervor ragte. Schon oft hatte er sie bemerkt, aber nie danach gefragt. Es war das einzige Schmuckstück, dass er bei Nuvija je gesehen hatte. Es war nicht so, dass es üblich war, aber die Meisten weiblichen Anhänger der Gilde verzichteten nicht auf das ein oder andere Schmuckstück. 
„Was hat es eigentlich mit dieser Kette auf sich?“, fragte er dann wie aus einem Reflex heraus, war er sich nicht ganz sicher ob Nuvija weggedöst war. Denn es dauerte einige Zeit bis sie die Augen öffnete und ihn ansah: „Ich bekam sie einst von der alten Frau, die mich groß zog.“, sie hob die Hand, zog den ledernen Faden unter ihrem Gewand hervor und jetzt sah Borvin, dass an dieser Kette kleine Holzscheiben aufgereiht waren. Sie waren nicht größer als eine Münze. „Das sind geschnittene Stücke von Wurzeln einer Alraune. Sie symbolisiert das Leben, den Tod und schenkt Visionen, die einen Blick in das Geisterreich zulassen. So sagt man zumindest. Es sind all jene, die mir etwas bedeuteten…. und nicht mehr unter uns weilen.“, erklärte Nuvija leise, glitt mit dem Daumen über die unförmig aneinander gereihten Plättchen und seufzte schwer. Borvin nickte verstehend, zählte er in Gedanken die kleinen Schmuckstücke ab und versuchte sich einen Reim darauf zu machen, wer wohl alles dazu gehörte. Er selbst hatte solch Andenken nicht. Das Kämpfen, das Töten… es hatte ihn abgehärtet. Zudem hatte er niemanden wirklich so nahe gestanden, dass er länger um ihn getrauert hätte. Natürlich hatte es ihn mit Traurigkeit erfüllt, war einer seiner Kameraden oder Freunde im Kampf gefallen oder nicht wieder von einem Auftrag zurück gekehrt. Aber irgendwann hatte er damit abgeschlossen. 
Nuvija hingegen schien diese Sache auf eine ganz andere Art und Weise zu verarbeiten. „Ich möchte einfach nicht, dass sie in Vergessenheit geraten.“, Nuvija bettete die Kette wieder sanft zurück an ihren Platz, seufzte mit einem Blick nach draußen erneut auf. Die Wunde an ihrem Kopf hatte aufgehört zu bluten. Es blieben aber noch immer die dröhnenden Kopfschmerzen, die sich so leicht nicht würden vertreiben lassen. Zudem hatte sie nichts bei sich, was diesen Schmerz dämpfen würde ohne auch ihre Wahrnehmung zu beeinflussen. Sie wussten nicht, ob man sie suchen würde. Da wollte sie im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte sein um Borvin nicht unnötig zur Last zu fallen. 
„Schlaf ein wenig. Ich werde Acht geben, sollte man uns wirklich verfolgen. Du solltest dich ausruhen, damit wir los ziehen können sobald der Sturm abflaut.“, Borvin musterte seine Gildenschwester und sie nickte wortlos. Dann schloss sie von neuem die Augen und schien nach wenigen Augenblicken auch schon eingeschlafen. 

Verwundet

Sie hörte die Ausrufe mehrerer Orks. Dann das Horn. Die Unruhe in ihr wuchs zur Panik. Borvin war alleine dort hinein gegangen. Niemand war ihm gefolgt. Niemand hätte in dem gedrungenen Gebäude sein dürfen! Oder war es ein Hinterhalt gewesen?! Waffen klirrten, holten Nuvija zurück in das hier und jetzt. Angespannt sah sie auf den kleinen Vorhof des weitaus kleineren Turmes am anderen Ende der Schlucht. Ihre Augen fixierten angespannt das Tor, aus welchem Borvin nun zum Vorschein kam. Er versuchte sich seiner Angreifer zu erwehren, welche aber in großer Überzahl schienen. Nuvija legte einen Pfeil auf die Sehne, zögerte. Sie würde keinen gezielten Schuss abgeben können ohne Gefahr zu laufen dabei Borvin zu treffen. Die Distanz war zu groß. 
Ihr Blick ging über ihren Kopf hinweg. Das Seil… es war eine Möglichkeit. Vor wenigen Minuten war es eine scherzhafte Überlegung gewesen. Jetzt schien es der einzige Weg Borvin zur Hilfe zu kommen. Kurz entschlossen griff sie nach dem festen Stück gewebten Stoff, der als Fahne für den Turm gedient hatte, riss ihn ab. Den Bogen mit dem aufgelegten Pfeil und dem einen Ende des Stoffs in der Hand, warf sie dieses über das Seil, griff es mit der Anderen und stieß sich nach einem kurzem Moment des Zögerns vom Gestein ab. 
Am Seil hinabgleitend gewann sie rasch an Geschwindigkeit. Mehr, als ihr lieb war. Die Orks bemerkten sie nicht, bis sie auf wenige Meter heran war. Sie versuchte einen passenden Augenblick zu finden, den Stoff los zu lassen, den Bogen noch in der Luft zu spannen und einen ersten, tödlichen Treffer zu landen. Es gelang ihr einen der Orks tatsächlich in den ungeschützten Hals zu treffen bevor sie mit einem weiteren kollidierte. Sie spürte, wie der Speer, der in ihre Richtung gezeigt hatte an ihrer Lederrüstung vorbei schrammte, bevor sie gegen den Ork krachte. Der Aufprall war härter als sie erwartet hatte und doch hatte sie für einen Augenblick den Moment der Überraschung auf ihrer Seite. Noch ehe sie sich gänzlich aufrappelte, zog sie einen Pfeil aus dem Köcher, rammte ihn dem Ork auf dem sie gelandet war durch das Visier ins Auge, was ein schmerzerfülltes Aufbrüllen seinerseits zur Folge hatte. „Nuvija!“, sie hörte den Ausruf nur dumpf, als sie mit Mühe und Not einem Speerstoß ausweichen konnte, zur Seite sprang und auf dem Boden aufkommend abrollte. Ob das nun eine gute Idee gewesen war oder nicht, jetzt waren sie immerhin zu Zweit. Durch ihre Wendigkeit war sie kein ganz so leicht zu treffendes Ziel und konnte einige der Gegner in sofern ablenken, dass sie nicht alle auf einmal ihre Waffen auf Borvin richteten um ihn nieder zu strecken. Allerdings gelang es ihr in dem Getümmel nicht ihre Dolche zu ziehen, war sie zu sehr damit beschäftigt sich und ihren Bogen vor den Klingen der Gegner zu retten.
So schaffte es Borvin nach mühseligen Kampf seine Gegner nieder zu strecken. Sein Atem ging keuchend und er musste sich nach Halt suchend auf sein Schwert stützen, als der letzte Ork vor ihm in den Staub fiel. „Borvin!“, Nuvija eilte ebenfalls keuchenden Atems zu ihn: „Bist du verletzt?!“, sie musterte den Größeren, versuchte wie so oft erfolglos eine Regung in seinem Gesicht auszumachen. Dabei war nur der Atem, der stoßweise aus seinem leicht geöffneten Mund drang und die aufgerissenen Augen zu erkennen. Er antwortete nicht. Nicht sofort. Und dann sah Nuvija es. Instinktiv zuckte sie kurz zurück, als sie das Blut sah, die Einkerbungen in der Rüstung. Ein breiter Schnitt zog sich knapp unter seiner rechten Achsel einmal quer über den Rippenbogen, fast bis zur Hüfte. Er war verletzt. „Ich hab die Krone. Wir sollten gehen.“, presste Borvin schließlich hervor, versuchte sich aufzurichten, unterdrückte dabei einen Schmerzlaut. Nuvija sah ihn zweifelnd an. Dann plötzlich das Sirren eines Pfeils der knapp neben ihnen aufschlug. Auf der Brücke, welcher die Beiden Türme verband, schien Verstärkung anzurücken. Mit einem Ächzen stemmte Borvin seinen Schild auf, ließ sich dahinter auf die Knie sinken. Nuvija kam neben ihn, als  der nächste Pfeil am Schild abprallte. „Wir müssen hier weg..“, murmelte sie mit wachsender Panik in der Stimme. „Der Fluss..“, keuchte Borvin, lies sein Schwert los, stützte die Hand auf seinen Oberschenkel ab um sich selbst besser aufrecht halten zu können. „Der Fluss?!“, Nuvija verstand im ersten Moment nicht, bevor sie seinen Gedanken folgen konnte: „Du willst wirkl.. “ „Ja!“, Borvin brüllte schon fast „Mach die Rüstung los!“. Nuvija stieß die Luft aus ihren Lungen, fasste nach ihrem Dolch, rückte näher an ihren Gildenbruder heran und löste eilends die starken Lederschnüre, welche die grobe große Panzerung an seinem Körper hielten. Dann half sie ihm auf, versuchte ihm den nötigen Halt zu geben, bis sie am Rand der Klippe angekommen waren. Noch im Laufen stieß Borvin den Schild von sich und sprang, von Nuvija gezogen ins bodenlose nichts. 

Das Wasser war eiskalt. Es kam ihn fast vor als wolle es ihn lähmen, als es über ihm zusammen schlug. Er versuchte die Schmerzen in seinem Körper zu ignorieren, war für einen Moment lang orientierungslos. Vor seinen Augen tanzten schwarze Punkte. Der Kampf hatte ihn zu sehr erschöpft. Seine Rüstung zog ihn im Strom des Flusses weiter nach unten, bis ihn eine Hand am Unterarm packte und nach oben zog. Er spürte, wie er die Wasseroberfläche durchbrach, holte keuchend Luft. Seine Lungen brannten und sein Körper schien sich zu weigern ihm in irgendeiner Art und Weise zu gehorchen. „Atme!“, Nuvija tauchte in seinem Gesichtsfeld auf. Er spürte ihre Hand an seinem Rücken, wie sie sich in den groben Leinenstoff gekrallt hatte. Sie schien zu versuchen ihn über dem rauschenden Wasser zu halten. „Versuch dich zu entspannen.“, ihre Worte drangen wie durch dicken Neben an seine Ohren. Er kämpfte mit sich selbst, versuchte irgendwie die Kontrolle über seinen Körper wieder zu erlangen, aber weder seine Arme, noch seine Beine wollten ihm gehorchen. Eine Welle an Wasser schwappte über sein Gesicht, ließ ihn kurzzeitig erneut nach Luft schnappen. Blinzelnd versuchte er die zunehmende Schwärze, die sich in sein Gesichtsfeld drängte zu beseitigen. Vergebens. 

Nuvija spuckte das Wasser, welches sie geschluckt hatte zurück in den Fluss, hustete. Ihre Arme fühlten sich sonderbar schwer an und egal was sie tat, sie hatte das Gefühl nicht genügend Auftrieb für Borvin und sich zu schaffen. Immer wieder riss sie der Strom unter Wasser, schob sie wie ein Stück Treibholz durch die Wellen. 
Hin und wieder versuchte sie nach einem Ast am Ufer zu greifen, was ihr aber nicht gelang. Der Strom des Wassers war zu stark als das sie sich zusammen mit Borvin ans Ufer hätte retten können. Sie wusste nicht, wie lange sie der Naturgewalt noch würde trotzen können, als sich das Flussbett verbreiterte. In einer Biegung teilte sich der Fluss und Nuvija schaffte es mit Einsatz ihrer verbliebenen Kräfte Borvin und sich in den seichter wirkenden Nebenarm zu retten. Die Strömung lies nach kurzer Zeit nach und es gelang ihr an einer seichten Stelle wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. „Borvin!“, keuchend sah sie zitternd vor Kälte und Angst in sein Gesicht. Oder besser gesagt in das unbewegte Gesicht einer metallenen Maske. Sie packte ihn an seinem Gewand, zog ihn durch das Wasser ans Ufer und hievte ihn ein Stück weit an Land. Vorsichtig legte sie eine Hand auf seinen Brustkorb, hielt den Atem an. Sanft hob sich seine Brust an, senkte sich wieder. Er lebte noch. Noch! 
Nuvija begann mit bebenden Händen an ihrem Gürtel nach dem Beutel mit den Kräutern zu suchen. Einige ihrer Tränke waren bei dem Zusammenprall mit dem Ork zu Bruch gegangen. Diese würden ihr somit keine Hilfe mehr sein. Hektisch zog sie das Blattdornkraut, welches mittlerweile nur noch eine ziemlich undefinierbare Masse aus Blüten darstellte aus dem Lederbeutel hervor, drückte es vorsichtig in die Fleischwunde, welche bereits vom Wasser ausgespült worden war. Dann zerrte sie an dem Stoff, der ihr als Schal diente, zog einen Dolch hervor, durchtrennte ihn und begann ihn umständlich um Borvins Körper zu binden. Dabei musste sie ihn mehrmals leicht zur Seite drehen, was ihr aufgrund seiner Masse nicht unbedingt leicht fiel. Anschließend verknotete sie den Stoff, strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht und zog einen der heil gebliebenen Tränke vom Gürtel. Einen davon entkorkte sie, flößte ihn Borvin ein. Einen anderen, nahm sie selbst zu sich. Dann sackte sie erschöpft zurück auf den von Steinen bedeckten Boden. Für einige Minuten blieb sie regungslos sitzen, versuchte sich zu sammeln. Ob man sie verfolgen würde? Instinktiv blickte sie über die Schulter zurück. Es war kein direkter Weg zu erkennen, der in diese kleine Bucht führte. Felsen ragten weit über ihnen auf und sie bezweifelte, dass die Orks dem Fluss ohne Schwierigkeiten im Gebirge folgen konnten. Sie hoffte es zumindest. 
Sie senkte den Blick wieder zurück zu Borvin. Die Anstrengung schien ihren Tribut gefordert zu haben. Dennoch hob und senkte sich sein Brustkorb mit zunehmender Gleichmäßigkeit. 
Mühsam stemmte Nuvija sich hoch. Sie musste zusehen, wie sie hier weg kamen. Wie weit sie wohl vom Basislager entfernt waren konnte sie nicht einschätzen. Sie wusste ja nicht einmal wo genau es lag. Ihre Orientierung war noch nie die Beste gewesen. Stets hatte Borvin die Führung übernommen. Die Möglichkeit ein Floß zu bauen und weiter übers Wasser zu flüchten schlug Nuvija nach kurzer Überlegung wieder aus. Dafür hätte sie Holz gebraucht und etwas zur Befestigung. Zwar lagen hier und da ein paar Äste verstreut, aber die dienten mehr für ein Lagerfeuer als für ein Floß. Es würde ihr wohl nichts anderes übrig bleiben als zu warten, bis Borvin wieder zu sich kam. Zumindest hoffte sie es. 
Langsam schritt sie die kleine Bucht in der sie gestrandet waren ab. Sie entdeckte einen kleinen Trampelpfad, der an der Steinwand hinab führte. Dabei waren es aber scheinbar keine Menschen, die diesen Pfad ausgetreten hatten. Es schien als wäre es ein Zugang für Bergziegen, die hier ihren Durst stillten. Er war schmal und von Steinen übersät. Vielleicht die Möglichkeit eines Abstieges? Sich um die eigene Achse drehend suchte sie weitere Anzeichen dafür, dass ihre Vermutung richtig war. Die einzigen Sträucher die aus dem kargen Boden wuchsen trugen kaum noch Blätter, wirkten schon fast verdorrt trotz, dass sie so nah am Wasser wuchsen. Ein Zeichen dafür, dass sie häufig von den Tieren abgefressen wurden? 
Nuvija warf einen Blick gen Himmel und kehrte dann zurück zu Borvin. Die Mittagshitze würde bald einsetzen. Ihre Kleidung war noch immer durchtränkt von Wasser und so empfand sie die wärmenden Sonnenstrahlen nicht wie sonst als unangenehm. 
Vorsichtig ließ sie sich neben ihrem Kameraden wieder zu Boden und legte ihren Blick auf seinen Körper, während der Rest ihrer Sinne sich auf ihre Umgebung konzentrierte um jedes Geräusch welches ihr unnatürlich vorkam wahr zu nehmen. 
Es war schon vorgekommen, dass andere Paare sich in solchen Situationen alleine gelassen hatten. Nuvija erinnerte sich an die Erzählungen ihrer Lehrmeister. Es kam häufig vor, dass, wenn eine Situation als ausweglos galt derjenige mit dem Auftragsgegenstand flüchtete und sich der andere opferte. Oder geopfert wurde um dem anderen eine Möglichkeit zur Rückkehr zu geben. Das Wohl der Gilde stand über jedem Einzelnen. So hatte man es sie zumindest gelehrt. War dies nun einer der Momente? Nuvija blickte auf den großen Lederbeutel an Borvins Seite der wohl die Krone enthalten musste. Es fühlte sich falsch an. Außerdem waren sie füreinander verantwortlich. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf, stützte das Kinn auf ihren Händen ab und wartete. Mehr konnte sie nicht tun.

Es war der Schmerz, der ihn dazu veranlasste die Augen aufzuschlagen. Ein Stöhnen glitt über seine Lippen, als er versuchte sich zu regen. Er realisierte die kleinen Steine unter seinem gesamten Körper. Wärme umfing ihn. Lediglich seine Füße fühlten sich nass und kalt an. Probehalber versuchte er die Finger zu bewegen, was ihm auch gelang. Dann wieder der stechende Schmerz in der Seite. 
Ein Schatten fiel auf sein Gesicht und er blinzelte verwirrt. Es dauerte einen Moment bis er das Gesicht oder viel mehr die Augen erkannte, die ihn sorgvoll musterten. Er kannte sie. Nuvija. 
„Verdammt..“, knurrte er leise: „Wo sind wir?“, er versuchte sich aufzurichten, spürte die helfenden Hände an seinem Rücken. Sein Brustkorb fühlte sich seltsam eingeengt an. Als er an sich herab sah, bemerkte er den improvisierten Verband um seinen Oberkörper, wurde sich wieder bewusst woher der Schmerz kam. „Wie fühlst du dich?“, Nuvijas Stimme war sanft, fast schon zaghaft. „Wie soll ich mich schon fühlen.“, entgegnete er dunkel, drehte sich leicht um die verletzte Seite irgendwie zu entlasten. „Ich weiß nicht wo wir sind. Aber das ist erstmal egal. Lass mich nach deiner Wunde sehen.“, beantwortete sie endlich seine Frage und musterte ihn dabei. „Das wird schon wieder.“, Borvin drehte den Kopf und sah sich um. Sie schienen in einer kleinen Bucht gestrandet zu sein. Wie weit sie der Fluss wohl Talabwärts getrieben hatte? 
Nuvija rückte näher an Borvin heran, löste den Knoten ihres Schals und wickelte ihn von seinem Körper. Das Blattdornkraut hatte die Blutung weitestgehend gestoppt. „Wir sollten von hier verschwinden. Ich weiß nicht, ob man uns verfolgen wird.“, Nuvija tastete vorsichtig die Wundränder ab, griff hin und wieder erneut an ihren Gürtel um das übrige Kraut vorsichtig in die offen klaffende Schnittwunde zu streichen. Sie spürte, wie sich Borvin unter ihren Händen immer wieder anspannte, den Atem anhielt. So lehnte sie sich in ihrer sitzenden Position zurück, löste ein weiteres Fläschchen vom Gürtel: „Trink das. Es wird die Schmerzen lindern.“, sie entkorkte es und drückte er Borvin in die Hand. Dieser musterte die dunkelgraue Flüssigkeit skeptisch. Dann legte er es an die Lippen, stürzte es mit einem einzigen Schluck hinunter, verzog das Gesicht: „Es schmeckt scheußlich.“ 

Nuvija nickte leicht: „Die meiste Medizin schmeckt scheußlich.“, sie nahm das leere Fläschchen wieder entgegen und betrachtete ihren Gildenbruder nachdenklich: „Es ist besser, wenn du deine Kleidung ablegst. Ich sollte einen Verband nicht über dem Rest deiner Gewandung anbringen.“ gab sie dann zu bedenken. „Tu dir keinen Zwang an.“, Borvins Stimme hatte für kurze Zeit einen amüsiert wirkenden Unterton: „Du wärst nicht die Erste.“ Er spürte, wie seine Gegenüber kurz in ihrem Tun inne hielt, seine Worte aber unkommentiert ließ und dann nach und nach die Schnüre seines Gewandes löste. „Wo hast du eigentlich so viel über die Heilkunst gelernt?“, Borvin versuchte sich abzulenken, nicht auf den stechenden Schmerz in der Seite zu achten. „Bei einer Heilerin, zu einer Zeit vor der Gilde.“, gab Nuvija zur Antwort, löste den letzten Knoten und strich den Stoff vorsichtig von seinem Körper zurück. „Sie hat mich groß gezogen. Ich habe ihr bei der täglichen Arbeit geholfen und das über einige Jahre hinweg. So konnte ich etwas Wissen anhäufen.“, erzählte sie weiter. Dann erhob sie sich, wandte sich um und griff nach dem Schal um ihn am Ufer des Flusses zu waschen: „Zumindest so lange, bis sie starb.“, sie knetete den Stoff in dem seichten Wasser, wusch den Dreck und das Blut heraus. „Und was ist dann geschehen?“, Borvin war neugierig geworden. „Du weißt, dass es untersagt ist zu viel darüber zu reden?“, sie wrang den Stoff aus, sah dabei nicht zu ihm auf: „Es schadet nie etwas über seinen Gegenüber zu wissen. Wir werden noch längere Zeit gemeinsam Aufträge bestreiten. Da hilft es zu wissen, was der Andere schon erlebt hat.“, entgegnete Borvin ruhig. „Du nimmst es mit den Regeln wohl nicht so genau?“, Nuvija erhob sich und kam zurück um sich wieder neben ihn auf den Boden nieder zu lassen. „Vorsicht, kalt.“, sie rückte näher an ihn heran, legte das feuchte Tuch vorsichtig über die Wunde. Borvin sog scharf die Luft ein. „Ich erinnere mich nicht mehr genau daran. Nach ihrem Tod fand ich mich in den Minen wieder. Mit anderen Kindern suchte ich nach Erz, grub Stollen in die Berge. Wie lange das so ging weiß ich nicht. Aber irgendwann beschlossen wir zu fliehen. Ich stahl etwas Proviant und wir machten uns durch die Stollen davon. Die Aufseher konnten uns nicht folgen, dafür waren die Tunnel und Gänge zu klein.“, Nuvija griff um Borvin herum, kam ihm dabei so nahe, dass sie seinen Geruch wahr nehmen konnte. Borvin schwieg. Schien zu warten, dass sie fort fuhr, was sie dann auch tat: „Unsere Flucht war nicht ausgereift. Viele starben auf diesem Weg durch Erdrutsche, Einstürze oder verloren die Gruppe. Unser Proviant ging schon bald zu neige und wir mussten uns von Krabbelgetier und modrigem Wasser ernähren. Allem, was wir eben so fanden. Es herrschte eine nie enden wollende Dunkelheit. Ich zweifelte schon bald, dass wir jemals wieder das Tageslicht sehen würden, als eines Tages tatsächlich sich eine Höhle mit einem Ausgang auftat. Wir kletterten die Felswand hinauf und fanden uns in einem Wald wieder. Dort konnten wir uns von einige Beeren stärken und ich konnte die Verletzten heilen. Aber unser Glück war nur von kurzer Dauer.“, sie hielt kurz in ihrem Tun inne, bevor sie vorsichtig die zweite Bahn um seinen Körper schlang. Sie wusste nicht genau warum sie erzählte, was ihr widerfahren war. Aber umso mehr sie davon erzählte umso befreiter fühlte sie sich ums Herz. Ihr war nie wirklich bewusst gewesen, wie sehr sie das herum tragen ihrer Geschichte möglicherweise doch bedrückt hatte. „Strauchdiebe entdeckten uns, töteten die Älteren und nahmen den Rest gefangen. Sie sprachen davon uns auf dem Sklavenmarkt in der Stadt zu verkaufen.“, Nuvija hielt erneut inne, sah an sich herab, griff kurz nach einer Kette an ihrem Hals, schloss die Augen, bevor sie in ihrem Tun Borvin zu verarzten fortfuhr: „Auf dem Weg durch den Wald in Richtung Stadt wurden die Banditen wiederum angegriffen von den Assassinen. Sie befreiten uns und nahmen uns mit in ihre Festung. Den Rest dürftest du im Groben kennen.“, sie strich den Stoff glatt und knotete ihn am Ende zusammen. Mit kritischem Blick betrachtete sie ihr Werk und seufzte leise auf. Sie hatte Borvin schon fast ein wenig ausgeblendet, dachte zurück an all ihre Freunde, die sie damals verloren hatte. Sie hob die Hände um die Kleidung seines Oberkörpers wieder zurecht zu rücken, zuckte fast schon ein wenig zurück, als sie seinem Blick begegnete. Seine dunklen Augen wirkten durch den blank polierten Stahl seiner Maske fast schon schwarz, konnte sie nur mit Mühe das Blau ausmachen, welches meist abenteuerlustig funkelte. „Es tut mir Leid um den Verlust deiner Freunde.“, raunte Borvin leise und Nuvija schluckte schwer. Dann riss sie sich von seinen Augen los, senkte den Blick auf seinen Oberkörper, begann damit das Hemd wieder zu verschließen. „Genug von mir. Was ist mit dir? Wie bist du zur Gilde gekommen?“, sie versuchte sich von den düsteren Gedanken, die zu zu übermannen drohten abzulenken. Borvin schien ihr Gedankengut zu verstehen und grummelte leise auf: „Ich entstamme eigentlich einer Bauersfamilie. Weit im Norden, im Krunoslav Gebirge. Das Leben dort ist hart, aber wir mussten nie hungern. Allerdings ist es dort Brauch, dass jede Familie eines ihrer Kinder an den Geheimbund abgibt. Dafür leben wir unter ihrem Schutz. Um meine kleine Schwester zu schützen bin ich freiwillig mit dem Gelehrten gegangen, der uns in ein neues Leben führen sollte. Mit mir waren es sieben weitere Kinder, die ihre Familien nie wieder sehen würden.“, er hielt kurz inne und ließ sich, nachdem Nuvija fertig war wieder zurück auf den Boden gleiten. Im Liegen schienen ihm die Schmerzen erträglicher. „Das Gebirge ist tückisch. In der Nacht  wurden wir von einem aufkommenden Sturm überrascht. Er war so stark, dass er Bäume entwurzelte. Der Assassine, der uns führte wurde von einem herabstürzenden Ast getroffen und schwer verwundet. Da ich einer der Älteren war und mich dort in diesem Gebiet noch einigermaßen auskannte, gelang es mir eine Höhle zu finden in der wir Schutz suchten bis zum nächsten Morgen. Der Rückweg zum Dorf war durch das Unwetter versperrt worden. Also versorgten wir den Assassinen so gut es uns möglich war. Aber er schien durch die Verletzungen sein Augenlicht verloren zu haben. Er konnte uns lediglich den Weg schildern, den wir gehen mussten. So übernahm ich die Führung der kleinen Gruppe und es gelang mir tatsächlich den richtigen Weg zu finden bis zur Festung.“, Borvin seufzte leise auf, machte eine kurze Pause. 
Nuvija schwieg. Sie hatte nicht vor zu sprechen ehe er mit seiner Geschichte nicht geendet hatte. Aber ihr wurde nun bewusst, woher sein guter Orientierungssinn kam. Im Gebirge konnte man sich schnell verlaufen. Man musste trotz Verschüttungen und herabfallenden Steinen wissen wo man sich befand um an sein Ziel zu kommen. Vielleicht würde er dann auch wissen wohin sie gehen mussten um zurück zum Lager zu gelangen wo sie die Pferde und zwei Bergbauern zurück gelassen hatten. 
„Der Rest der Geschichte ist vorhersehbar. Ich begann meine Ausbildung und traf irgendwann auf dich.“, seine Stimme ging in ein raues Lachen über und Nuvija musterte ihn argwöhnisch: „Was ist daran so amüsant?“, fragte sie und rieb sich kurz über den Nacken. Er verunsicherte sie in manchen Situationen noch immer mit seiner Art. 
Borvin hielt sich kurz die verletzte Seite, versuchte die Schmerzen, die sein Lachen verursacht hatten beiseite zu drängen. Dann drehte er den Kopf leicht in Nuvijas Richtung: „Nun, zu Beginn warst du mir eher hinderlich als wirklich hilfreich.“ „Das denkst du.“, die Jüngere schüttelte leicht den Kopf und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. „Sei lieber still und schone deine Kräfte. Wir dürfen nicht zu lange hier verweilen.“, instinktiv warf sie einen Blick auf die Umgebung rings herum. 
Borvin ließ erneut ein leises Seufzen vernehmen, dann schloss er die Augen ohne ein weiteres Wort zu verlieren. 
Nachdem die Sonne ihren Höchststand überwunden hatte und ein kühlender Wind durch die kleine Bucht zog beschloss Nuvija ihren Kameraden zu wecken. Sanft berührte sie ihn an den Schultern. „Wir sollten bald aufbrechen.“, murmelte sie dabei leise und griff in ihren Proviantbeutel. Borvin öffnete die Augen, richtete sich mit einem Stöhnen auf und tat es Nuvija gleich. Nachdem sie sich gestärkt hatten half sie ihm auf die Beine. Kurzzeitig schien sich alles etwas zu drehen, bevor er wirklich einen festen Stand hatte. Er ließ sich von Nuvija den kleinen Trampelpfad zeigen und nickte zuversichtlich: „Wenn wir ihm folgen werden wir bald auf die Höhe unseres Lagers kommen.“ stellte er fest und begann vorsichtig den Abstieg. Er fühlte sich noch nicht ganz wohl in seiner Haut spürte aber, dass die Schmerzen nur noch dumpf in der Seite pochten. Scheinbar hatte Nuvijas Trank seine Wirkung nun endgültig  entfaltet. 
Es war kein beschwerlicher Abstieg, aber der schmale Pfad schien sich endlos lange am Gebirgszug entlang zu hangeln. Hin und wieder konnten sie tatsächlich einige Bergziegen erblicken. Von den Orks fehlte glücklicherweise jede Spur. 
Als es zu dämmern begann hielt Nuvija inne: „Wir sollten einen Platz für die Nacht suchen. Du bist noch nicht wieder im Besitz deiner Kräfte. Und wer weiß, was uns hier noch auflauert.“, gab sie zu bedenken, schien mit einer gewissen Nervosität zu kämpfen. Borvin stoppte seine Schritte ebenfalls. Ihm war schon öfter aufgefallen, dass seine Gildenschwester beim Einbruch der Nacht darauf drängte zu rasten. Er war sich aber sicher, dass ihr Lager nicht mehr weit entfernt lag: „Du brauchst die Nacht nicht mehr zu fürchten als deine Feinde. Komm. Das Lager ist nicht mehr weit.“, er drehte kurz den Kopf in ihre Richtung, nickte ihr aufmunternd zu. Nuvija zögerte, dann schien sie rasch zu ihm aufzuschließen. „Dann geh voraus.“, murmelte sie in seine Richtung, hielt sich fortan dicht hinter ihm.  
Es dauerte tatsächlich nicht mehr lange und sie erblickten in einiger Entfernung einen Fackelschein. Nuvija wollte bereits erleichtert aufatmen, als Borvin die Hand nach ihr ausstreckte, sie hinter sich drängte: „Was…?“ „Scht..!“, Borvin warf ihr einen mahnenden Blick zu und lies sich in die Hocke sinken. Sie tat es ihm gleich, kniff die Augen zusammen. Durch Borvins Größe war es ihr nicht möglich an ihm vorbei zu sehen. Unruhig drängte sie sich näher an ihn heran: „Orks..“ flüsterte er leise in ihre Richtung, deutete nach vorne. Es war tatsächlich nicht nur ein Fackelschein der nun zu sehen war. Es waren mehrere. Wenige Sekunden später drang Gebrüll an ihre Ohren. Sie hatten wohl ihr Lager entdeckt und waren gerade dabei ihre beiden Begleiter zu verhören, die sie in einem kleinen Dorf angeheuert hatten. Nuvija schloss kurz die Augen, spürte wie sich Nervosität in ihr breit machte. Sie griff an ihren Proviantbeutel, suchte mit den Fingern nach den kleinen, getrockneten Insekten und führte sie rasch unter die Maske, zwischen die Lippen. Kaum zermahlten ihre Kiefer den Panzer des Käfers fühlte sie sich ein wenig besser. „Die Pferde.“, Borvin spähte angespannt in die Dunkelheit. Die beiden Tiere hatten sich durch den Trubel ein Stück weit entfernt und waren noch nicht ins Visier der Orks geraten die noch immer dabei waren die Bergleute zu bearbeiten. Nuvija schloss die Augen, versuchte sich zu sammeln: „Ich gehe.“, murmelte sie dann an Borvin gewandt und schob sich vor. Er wollte sie zurück halten, aber sie entwand sich seinem Griff: „Du bist verletzt und hast weder Waffen, noch Rüstung. Ich gehe!“, wiederholte sie nun mit deutlich fester Stimme und funkelte Borvin wütend an. Dieser schien nach einem kurzen Moment des Zögerns nachzugeben. 
Angespannt beobachtete er wie Nuvija sich langsam, in geduckter Haltung näher an das Szenario heran schlich. Dabei schob sie immer wieder die Hand in ihren Proviantbeutel, schien etwas daraus hervor zu holen. Zudem wirkten ihre Schritte unsicher und sehr zaghaft. Noch zögerlicher als sonst. 
Sie hatte sich auf einige Meter an die Szenerie heran gewagt, hob die Hände an die Lippen und ahmte den Ruf eines Käuzchens nach. Die beiden Pferde hoben die Köpfe, spitzten die Ohren, bewegten sich aber nicht. Zu sehr schienen sie von dem Getümmel abgelenkt, dass sich unweit von ihnen ereignete. Ein grässlicher Schrei. Borvin sah gerade noch, wie die Axt des Orks auf eine gedrungene Gestalt nieder sauste. Dann das Geräusch von brechenden Knochen. Ihnen blieb keine Zeit mehr. 
Nuvija schlich weiter, näher an das Getümmel heran. Die Pferde entdeckten sie, scheuten kurz vor ihr zurück und scheinbar hatte sie dann auch einer der Orks bemerkte. Nuvija packte die Tiere an den Zügeln, schwang sich in den Sattel des Braunen Pferdes und trieb es an. Borvin richtete sich auf, straffte die Schultern. Kaum war sie bei ihm angelangt, griff auch er nach dem Sattel, zog sich mit Mühe und Not auf den Rücken seines Rappen. Nuvija griff nach ihrem Bogen, während Borvin sein Pferd antrieb, es nach vorne stob. Gebrüll, ein Speer, der dicht über an ihm vorbei zischte. 
Nuvija spürte den Ruck, der durch den Pferdekörper ging als sich ihr Brauner ebenfalls wieder in Bewegung setzte. Sie konzentrierte sich darauf die Orks daran zu hindern sie zu verfolgen. Nur ließ sie die Beklommenheit, die sich ihrer bemächtigt hatte nicht los. Immer wieder blickte sie nach vorne, sah nichts als Schwärze, in die sie hinein ritten. Angst machte sich in ihr breit. Was, wenn sie über einen Felsrand ritten und in die Tiefe stürzten? Es gelang ihr ein paar Pfeile von der Sehne schnellen zu lassen, ehe die Distanz jeden weiteren Schuss vergeblich machte. So drehte sie sich wieder nach vorne und fasste nach den Zügeln ihres Pferdes. 
Borvin saß gekrümmt im Sattel, hatte eine Hand stützend auf den Mähnenkamm seines Rappen abgelegt und führte mit der anderen die Zügel. Er schien genau zu wissen, wo sie lang mussten. Selbst in der Dunkelheit. 
Während des Ritts schwiegen sie. Jeder hatte die Sinne auf die Umgebung gerichtet. Nuvija hatte ihren Bogen noch immer bereit, sollten sie überraschenderweise erneut angegriffen werden. Von wem auch immer. Aber dem war nicht so. 
Nach einiger Zeit parierte Borvin seinen Rappen in den Schritt und legte keuchend den Kopf in den Nacken: „Hat doch wunderbar geklappt.“, presste er schließlich über die Lippen. Nuvija warf ihm einen kurzen Seitenblick zu: „Sollen wir rasten?“, sie trieb ihren Braunen näher an Borvins Pferd heran, legte ihm sanft eine Hand auf den Unterarm. Borvin schüttelte den Kopf: „Wir müssen erst etwas Abstand gewinnen.“ entgegnete er schweren Atems und schloss kurz die Augen. Nuvija starrte in die Dunkelheit vor ihnen. Das Adrenalin verebbte und sie spürte wieder diese Beklommenheit. Sich fürchtete das Dunkeln. Vor Allem auf offenem Feld. Aber sie wollte diese Ängste nicht offen zugeben. Nicht jetzt. Um sich selbst zu beruhigen strich sie ihrem Pferd über den Hals, und richtete den Blick wieder nach vorne. Irgendwo da in der Dunkelheit würde sich das rettende Bergdorf befinden. Sie hoffte inständig, dass Borvin bis zu ihrer Ankunft bei Bewusstsein bleiben würde.

Feierlichkeiten mit Hindernissen

„Und erneut habt ihr einen Auftrag erfüllt. Wir hatten es nicht anders von euch erwartet. Ihr erntet unseren Dank und den, der gesamten Gilde. Der Abschluss eurer Ausbildung wird nach wenigen weiteren Missionen schon bald in greifbare Nähe rücken. Geht nun, erholt euch von den Strapazen der Reise und schult eure Fähigkeiten. Bald schon wird man eure Dienste wieder in Anspruch nehmen.“, die gedrungene Gestalt, die das Pergament entgegen genommen hatte reichte es während sie sprach an einen anderen weiter und schritt dann langsam die Treppe hinab, vor der Borvin und Nuvija knieten. Sie hatten die Häupter gesenkt und lauschten den Worten, die ihnen galten. „Erhebt euch nun.“, die Gestalt war vor ihnen zum Halten gekommen, faltete die Hände ineinander und betrachtete die beiden Schützlinge. Die Beiden taten, wie man ihnen befahl. „Geht.“. Borvin und Nuvija wandten sich um, verschließen schweigend den Saal. Als das Flügeltor hinter ihnen zuschlug atmete Nuvija auf. Borvin warf ihr einen flüchtigen Seitenblick zu: „Das du noch immer so nervös bist wenn wir ihnen gegenüber treten.“, begann er und ging mit ihr zusammen die gewundene Treppe hinab. „Ich weiß auch nicht. Wahrscheinlich werde ich mich nie daran gewöhnen.“, seufzte Nuvija und entlockte Borvin somit ein dunkles Auflachen: „Komm mit mir heute Abend in die Schenke. Dann feiern wir unseren Erfolg.“. „Du weißt, dass mich dort nichts hin zieht. Ich brauche solch Feierlichkeiten nicht.“, wehrte sie seine Einladung ab. „Es wird dir gefallen. Du warst noch nicht oft genug dort.“, entgegnete er fast schon ein wenig herausfordernd. „Gibst du dich dann zufrieden, wenn ich dich dieses eine mal begleite?“, Nuvija blieb am Ende der Treppe stehen. „Vielleicht.“, Borvin stieß sie leicht gegen die Schulter: „Ich hole dich heute Abend. Versuch dich ein wenig zu entspannen. Es macht wirklich Spaß.“, er wandte sich zur Seite: „Und keine Ausreden.“. Nuvija wank ab, gab einen missmutigen Laut von sich und verschwand dann zur anderen Seite in einem der langen Gänge. Die Gemächer waren noch immer getrennt. Sie hatte seit ihrer Ankunft in der Gilde das gleiche Zimmer. Für sich alleine. Hier trennte man nach Geschlecht, nicht nach Können oder Status. Dabei war es nicht ungewöhnlich, einmal einem der Lehrmeister zu begegnen. 
Bei ihrem Gemach angekommen schlüpfte sie hinein, schloss die Tür hinter sich und ließ sich auf das Bett fallen. Die Augen schließend lies sie den Auftrag nochmals in ihren Gedanken vor ihrem inneren Auge abspielen. Sie hatten aus ihrem Fehler des letzten Males gelernt. Damals, als Borvin so schwer verletzt worden war. Sie hatten es zurück ins Dorf geschafft. Dann hatten sie dort so lange gewartet, bis Borvin sich einigermaßen erholt hatte und sie die Heimreise hatten antreten können. Diesmal war es anders gewesen. Sie hatten ein besseres Versteck gefunden und hatten sich nicht aufgeteilt. Gemeinsam war es ihnen gelungen in die Bibliothek einzudringen, das Schriftstück zu entwenden und wieder zu verschwinden. Zwar hatten sie dabei auch einiges an Aufmerksamkeit erregt, aber niemand der Beiden war verletzt worden. Bis auf ein kleiner Kratzer, den Nuvija sich zugezogen hatte waren sie mit heiler Haut davon gekommen. Kleiner Verletzungen waren bei solchen Aufträgen nichts ungewöhnliches. 
Sie schlug die Augen auf, erhob sich wieder von ihrem Bett und machte sich daran, sich etwas zu erfrischen. So legte sie ihre Rüstung ab, ebenso die Maske. Denn das abnehmen der Maske war ihr nur in den eigenen Räumlichkeiten gestattet. Rasch wusch sie sich das Gesicht, warf sich die übliche Gewandung der Gilde über und zog dann wieder die Kapuze über den Kopf. Sämtliche ihrer Roben waren mit Kapuzen versehen. So war es ihr einfacher die Stoffmaske zu tragen und sie war nicht den neugierigen Blicken ausgesetzt, die ihre Haarfarbe hervor rief. Kurz betrachtete sie das matte, helle rosa im Spiegel. Sie hatte sich immer darüber gewundert wie sie zu solch einer Haarfarbe gekommen war. Aber niemand hatte ihr diese Frage je beantwortet. Nachdem sie sich umgezogen hatte, widmete sie ihre Aufmerksamkeit ihrer Rüstung, überprüfte sie auf Schäden oder Schwachstellen. Jeder aus der Gilde war für seine eigene Rüstung und deren Reparatur verantwortlich. Das letzte Mal hatte Nuvija ein Seitenteil auswechseln lassen müssen. Der Speer eines Orks hatte das Leder zu sehr beschädigt. Aber bei ihrem jetzigen Auftrag schien die Rüstung keinen Schaden genommen zu haben. Im Gegensatz zu Borvin trug sie selbst stets eine Lederrüstung. Sie wäre allein körperlich schon nicht in der Lage gewesen schweres Metall an sich zu tragen. Borvin dagegen schon. 
Gedankenverloren lies sie sich wieder auf dem Bett nieder, griff nach einem der Bücher die auf dem kleinen Schrank lagen und begann darin zu blättern. Sie fühlte sich wohl in den Mauern der Burg. Die Gilde war für sie wie eine Familie geworden. Schließlich hatte sie sonst kein Heim, niemanden, an den sie sich hätte wenden können. So ließ sie sich erneut zurück fallen, hob das Buch über ihr Gesicht und begann zu lesen. Lange würde sie sowieso nicht mehr warten müssen, bis Borvin sie zu den ‚Feierlichkeiten‘ abholen würde. Sie sollte recht behalten. 

Wenige Stunden später 

Ihre Schritte führten sie an einen Ort, an dem sie viel Zeit verbrachte. Die Bibliothek. Nuvija war den weltlichen Dingen nicht allzu sehr zugetan. Das dürfte jetzt auch Borvin gemerkt haben. Sie verbarg sich lieber in den Schriften vergangener Zeit und malte sich aus, wie es wohl war nicht immer auf Missionen unterwegs zu sein sondern eine Reisende, die die Welt zu entdecken suchte. Natürlich behielt sie diese Gedanken stets gut behütet bei sich selbst. 
Sie öffnete die Tür zur Bibliothek, schlüpfte lautlos hinein und konnte bereits beim ersten Atemzug spüren, wie sie sich wieder beruhigte. Provokationen und Rangeleien waren innerhalb der Gilde nichts ungewöhnliches. Neid und Ehrgeiz verleiteten viele dazu ihren Schwestern und Brüdern den Erfolg streitig machen zu wollen. Tarakesh war einer von ihnen. Außerdem war er für seine aufbrausende Art bekannt. Cerubion, der Partner von Tarakesh war wesentlich ruhiger und bedachter. Er war es auch gewesen, der Tarakesh zur Seite genommen hatte, als die Lage zu eskalieren drohte. Nuvija hatte keinen Streit provozieren wollen. Zudem schien Tarakesh ein gern gesehener Geselle von Borvin zu sein. 
Mit einem leichten Kopfschütteln verbannte sie die Situation in der Taverne aus ihrem Kopf und schritt leise die Bücherregale entlang. Ihre Finger strichen sanft über die ledernen Einbände, bis sie etwas gefunden hatte, dass sie zum Lesen verlockte. Sie zog das Buch aus dem Regal, lies sich unweit davon auf einem der Sitzkissen am Boden nieder und begann gedankenverloren darin zu blättern. Sie hätte nicht sagen können wie viel Zeit verstrichen war, als Schritte ertönten. Nichts ungewöhnliches. Schließlich war die Bibliothek jederzeit zugänglich. Erst als die Schritte neben ihr langsamer wurden, versiegten, blickte sie fragend auf. „Wusste ich doch, dass du hier bist.“, Tarakeshs Augen glitzerten als er von oben auf sie hinab sah. Nuvija spürte, wie sich leichte Nervosität in ihr breit machte. Sie schlug das Buch zu, erhob sich, wollte sich gerade wortlos weg drehen, als Tarakesh nach dem Buch griff und es aus ihren Fingern zog: „Der geheimnisvolle Norden?!“, er lachte auf und ließ den Band achtlos zu Boden fallen: „Du solltest verschwinden, Kleines. Am besten genau da hin. In den Norden. Wo dich niemand mehr findet.“ zischte er leise in ihre Richtung, beugte sich leicht nach vorne. Nuvija widerstand dem Drang vor ihm zurück zu weichen: „Ich wüsste nicht, warum ich das tun sollte.“, entgegnete sie trotzig. „Du gehörst hier nicht her. Borvin wäre ohne dich schon in die Elite aufgestiegen.“, knurrte Tarakesh weiter: „Ich hätte damals an seine Seite gehört. Wie verschwenderisch jemanden wie ihn mit dir zusammen auf Missionen zu schicken!“, er trat einen Schritt auf Nuvija zu, und diese wich nun tatsächlich zurück. Sie musterte Tarakesh. Er war einen guten Kopf größer als sie und weitaus stärker gebaut. Wie alle männlichen Gildenmitglieder. Ob er nur eine Drohung aussprechen wollte? Sie konnte ihn nicht einschätzen. Unsicher flog ihr Blick an seinen Gürtel an welchem er lediglich einen Dolch trug. Was genau hatte er vor? Als sie ihm nicht antwortete lachte der Größere erneut auf: „Ängstlich, wie ein Häschen in der Falle. Meinst du wirklich ich würde dir wirklich etwas antun?“, er beugte sich leicht zu ihr hinab und sie konnte seinen Atem riechen der getränkt war von Alkohol. Scheinbar hatte er bereits das ein oder andere Glas geleert: „Du bist nicht bei Sinnen. Geh zurück in die Taverne.“, Nuvija widerstand dem Reflex ihn von sich weg zu stoßen. Erst, als er seine Hand nach ihr ausstreckte explodierten scheinbar sämtliche Schutzmechanismen in ihrem Körper und mit einer Kraft, die sie sich wohl selbst nicht zugetraut hatte stieß sie Tarakesh zurück. Der Größere taumelte kurz überrascht einige Schritte nach hinten, fing sich dann wieder. Perplex starrten sich beide für den Moment einer Sekunde lang an. „Dann hast du es nicht anders verdient!“, Tarakesh zog den Dolch aus seinem Gürtel. Nuvija trat erneut zurück, spürte das Bücherregal im Rücken. Er hatte nicht wirklich vor?! Mit dem Ausruf eines wütenden Schreis, stürzte Tarakesh sich auf sie. Nuvija wich seinem ersten Angriff zur Seite aus, stolperte dabei allerdings über die Sitzkissen und glitt zu Boden. „Tarakesh! Nein!“, hektisch drehte sie sich zur Seite, versuchte auf die Beine zu kommen, als er bereits über ihr war. Er drückte sie mit dem Gewicht seines Körpers zu Boden, holte aus und stieß zu. Nuvija schrie auf als sie die Arme nach oben riss und die Klinge dicht an ihrem Hals in den Boden fuhr. Tarakesh führte den Dolch zur Seite, zog ihn nach oben und Nuvija spürte, wie sich ein brennender Schmerz nahe ihrer Kehle einsetzte. 
Dann wurde die Tür zur Bibliothek geöffnet. Ehe Tarakesh einen erneuten Stoß vollführen konnte wurde er von Nuvija herunter gerissen. Stimmen riefen durcheinander, ein erneutes Gerangel brach aus. Doch diesmal schien Tarakesh jener zu sein, der zu Boden gerungen wurde. 
Nuvija setzte sich langsam auf. Mit zitternder Hand fühlte sie an ihren Hals. Blut bedeckte ihre Fingerkuppen, als sie diese wieder in ihr Blickfeld führte. Eine vertraute Stimme drang an ihr Ohr: „Nuvija! Bei den Göttern!“, Borvin war heran geeilt, glitt neben ihr auf die Knie. Irritiert starrte Nuvija ihren Gegenüber an. Das Zittern weitete sich nun von ihren Fingerspitzen aus, auf ihren ganzen Körper. Wenn sie außerhalb der Mauern unterwegs war rechnete sie jederzeit mit einem Angriff, der ihren Tod bedeuten könnte. Aber… innerhalb der Gilde? Von einem Gildenbruder?! Einem Verbündeten?! Während ihr Körper bereits damit beschäftigt war den Angriff zu verarbeiten war sie in Gedanken bei Weitem noch nicht dazu in der Lage. „Was….?“, verwirrt sah Nuvija in das dunkle Blau ihres Gegenübers. „Schon gut. Komm. Wir bringen dich hier weg.“, Borvin sprach leise, fast schon sanft auf die Jüngere ein, half ihr hoch. Aber ihre Beine wollten sie nicht tragen. Sie zitterte am ganzen Leib, so dass Borvin kurzerhand seine Hände um ihren Körper legte, sie hoch hob und nach draußen trug. 
Cerubion und ein weiterer Gildenbruder hielten noch immer Tarakesh, der sich wie ein wildes Tier in den festen Griffen seiner Angreifer hin und her wand fest. 

„Ich… ich hab ihm doch gar nichts getan.“, brüchig klang ihre Stimme an sein Ohr. „Was… habe ich denn falsch gemacht?“, Nuvija versuchte noch immer zu realisieren, was da gerade geschehen war. „Er war nicht ganz bei Sinnen.“,versuchte Borvin zu erklären, schüttelte leicht den Kopf während er mit ihr den Gang entlang eilte. Wohl wäre Nuvija in der Lage gewesen sich selbst zu versorgen, aber sie wirkte verwirrt, nicht wirklich handlungsfähig. Der Größere entschied sich somit sie zu einer der Heilerinnen zu bringen. Während er die langen Gänge entlang eilte spürte er, wie das Zittern in ihrem Körper nachließ, sie den Kopf scheinbar erschöpft gegen seine Schulter sinken lies und die Augen schloss: „He… jetzt aber nicht einschlafen.“, brummte er besorgt zu ihr hinab, bevor er die letzten Stufen nach unten eilte. Er konnte sich keinen Reim darauf machen wieso Tarakesh Nuvija attackiert hatte. Er hatte die Spannung gespürt die zwischen ihnen geherrscht hatte, als sie in der Taverne aufeinander gestoßen waren. Aber das sich die Situation so schnell aufspielen würde? Niemals hätte er daran gedacht, dass Tarakesh die Hand gegen ein Gildenmitglied erhoben hätte.  Er hatte ein loses Mundwerk und ein zu großes Selbstbewusstsein, aber solch eine Handlung hätte er ihm nicht zugetraut. 
Bei den Gemächern der Heiler angekommen, legte er sie auf einem der freien Betten ab. Nuvija gab ein ungehaltenes Grummeln von sich, blinzelte leicht. Sofort trat eine Heilerin an die Beiden heran: „Was ist geschehen?“, sie besah sich die Schnittwunde an Nuvijas Hals, die noch immer blutete und griff nach einem weißen Tuch, welches sie mehrmals zusammen faltete und dann auf die Wunde drückte. „Ich weiß nicht genau. Eine Auseinandersetzung.“, entgegnete Borvin, trat einen Schritt zurück. Die Heilerin sah überrascht zu ihm auf: „Derart heftig?“, sie seufzte leise.
Nuvija schlug die Augen auf, sah sich kurz verwirrt um. „Helft mir einen Moment, ich muss etwas holen.“, damit zog die Heilerin den Größeren etwas näher an das Bett heran, griff nach seiner Hand und legte sie auf das Tuch, mit welchem sie die Blutung stoppte. „Ein wunderbarer Abend. Wie ich dir versprochen habe.“, brummte Borvin in Richtung der Liegenden und verdrehte dabei die Augen. Wer hätte schon ahnen können, dass es derart eskalierte? 
Nuvija antwortete nicht auf seine Worte und kurze Zeit später kam die Heilerin wieder zu ihnen. „Es ist wohl eher die Tatsache, dass dieser Übergriff durch ein Gildenmitglied geschehen ist als die Verletzung selbst, die ihr so zusetzt.“, begann sie und schob Borvin damit wieder zur Seite. In ihren Händen hielt sie eine Tonschüssel in welcher sie eine Paste angerührt hatte. Sie nahm das Tuch beiseite und strich mit der grünen Masse über die Verletzung an Nuvijas Hals: „Das ist verwunderlich.“ „Was ist verwunderlich?“, Borvin sah fragend zu der Heilerin auf, die vage den Kopf schüttelte: „In letzter Zeit scheinen viele einen Groll gegeneinander zu hegen. Amelia ist vor Kurzem von ihrem Partner  angegriffen worden. Nebul ist ebenfalls attackiert worden, von jemanden, mit dem er nie etwas zu tun hatte. Nur bei ihm…. bin ich mir nicht sicher ob er es überlebt.“, sie seufzte schwer auf und betrachtete ihr Werk. Dann zog sie ein grün farbenes Fläschchen aus dem Umhang, entkorkte es und hielt es Nuvija hin: „Trinkt dies.“, sprach sie mit strenger Stimme und sah dann zu Borvin: „Keine Sorge. In ein paar Stunden wird es ihr wieder gut gehen. Kehrt zurück in Euer Gemach. Ich werde die Meister darüber in Kenntnis setzen.“. 
Borvin nickte ihr leicht zu, sah noch, wie Nuvija den Trank zu sich nahm. Dann wandte er sich um, trat aus der kleinen Halle zurück in den langen, steinernen Gang. Es war nicht der erste Übergriff gewesen? Wie lange waren sie fort gewesen seit ihrem letzten Auftrag? Hatte sich die Moral und der Zusammenhalt der Gilde so sehr verändert? Oder hatten sie es einfach nur nicht bemerkt? 
Als er sich auf den Weg in sein Gemach machte traf er Cerubion, welcher mit gesenktem Kopf an ihm vorbei eilte: „Cerubion!“, Borvin fasste ihn an der Schulter und der eben benannte schreckte auf: „Oh. Borvin. Verzeih. Ich war in Gedanken. Wie geht es Nuvija?“, fragte er und hielt inne. „Sie wird sich erholen. Der Schreck sitzt wohl tief. Die Wunde ist scheinbar nur ein Kratzer. Was ist mit Tarakesh?“. Cerubion seufzte leise auf, sah sich einmal im Gang um und winkte Borvin dann mit sich. Nur wenige Schritte entfernt öffnete er die Tür zu seinem Gemach, schloss sie hinter dem Größeren wieder. „Tarakesh ist im Kerker. Sie haben ihn eingesperrt.“, entgegnete er dann mit belegter Stimme, begann in dem kleinen Zimmer unruhig auf und ab zu gehen: „Ich verstehe das nicht. Er kannte Nuvija gar nicht. Nicht wirklich. Bis auf ein paar Übungen im Training hatten wir nie miteinander etwas zu tun. Und jetzt dieses Verhalten… Er war schon immer sehr impulsiv. Aber wenn du mich fragst.“, er hielt inne und sah Borvin fest an: „Das heute Abend. Das war nicht er.“ 
Borvin verschränkte die Arme vor der Brust: „Was genau meinst du damit?“, hakte er nach, musterte Cerubion. Dieser seufzte laut auf: „Ich vergesse immer wieder, dass du viel auf Reisen bist. Tarakesh und ich sitzen schon seit Wochen hier und sind nicht einmal ausgeschickt worden. Die Gildenmeister halten sich bedeckt. Scheinbar haben sie einen neuen Meister in ihren Reihen aufgenommen. Aber niemand weiß, wer dieser jemand ist.“ „Und was hat das mit heute Abend zu tun?“, fragte Borvin nun sichtlich irritiert. Cerubion schien kurz zu überlegen: „Zeitlich gesehen hat alles angefangen, als ihr mit der Krone zurück gekommen seid. Du hattest dir eine schwere Wunde zugezogen. Zu diesem Zeitpunkt begannen einige Gildenmitglieder mit einem merkwürdigen Verhalten. Natürlich war schon immer Neid und Missgunst innerhalb der Gilde vorhanden. Aber nie in solch einem Ausmaß. Man munkelte, dass der Zaubermeister damit zu tun hätte. Man sagte, dass er einige Mitglieder verzaubern würde.“, er zuckte mit den Schultern: „Kurz nachdem du wieder genesen warst und man euch wieder ausschickte, begann alles größere Ausmaße anzunehmen. Amelia wurde von ihrem Partner angegriffen und verwundet. Ihn haben sie auch weg gesperrt. Kurze Zeit später traf es Nebul. Bei ihm war es ähnlich wie mit Tarakesh und Nuvija. Er wurde von einem aus der Gilde angegriffen und fast getötet, den er zuvor nur ein paar Mal gesehen hatte. In einer offiziellen Kundgebung hieß es schließlich, dass der Zauberermeister seinen Posten aufgeben würde und ein Neuer seinen Platz einnimmt. Aber mehr haben wir auch noch nicht erfahren. Und scheinbar hören diese Übergriffe nicht auf.“, Cerubion machte eine kurze Pause: „Heute Abend kam Tarakesh verspätet zum Training. Er wirkte nicht wie sonst. Sämtliche Manöver gelangen ihm nicht. Wir brachen das gemeinsame Training ab und er sagte er würde sich ein wenig hinlegen. Am Abend habe ich dann gefragt, ob er Lust hätte mit in die Taverne zu kommen, ob alles in Ordnung sei. Er bejahte und naja… den Rest kennst du. Aber er wirkte nicht wie er selbst. Tarakesh schien nicht wirklich…. hier zu sein..“, er stemmte die Hände in die Seite: „Als wäre sein Geist woanders beschäftigt.“, versuchte er sein Gefühl genauer zu schildern. 
Geräuschvoll ließ Borvin die Luft aus seinen Lungen strömen. Tatsächlich hatte er scheinbar vieles nicht mitbekommen. Wie auch. Er war mit Nuvija ständig unterwegs. „Und noch etwas ist auffällig.“, Cerubion riss ihn aus seinen Gedanken: „All jene die angegriffen wurden sind ständig unterwegs und erledigen Aufträge. Die, die angreifen sind seit Wochen in der Burg und tun nichts als trainieren und auf Aufträge zu warten.“, er schnaubte verächtlich. Borvin grummelte leise: „So, was ist deine Vermutung?“ richtete er seine Frage direkt an seinen Gegenüber, der lediglich mit den Schultern zuckte: „Ich habe keine.“. 
„Vielleicht sind es unglückliche Zufälle.“, mutmaßte Borvin. Er konnte sich keinen Reim daraus machen, was Cerubion ihm erzählt hatte. Dieser schüttelte entschlossen den Kopf: „Daran glaube ich nicht mehr.“, entgegnete er entschieden. „Und was gedenkst du nun zu tun?“. Cerubion strich sich über den Nacken: „Ich weiß es nicht. Vorerst muss ich hier bleiben. So lange, bis sie entschieden haben was mit Tarakesh geschieht. Vielleicht werde ich auch neu zugeteilt. So wie Amelia einen neuen Partner zur Seite gestellt bekommen hat.“ „Ist sie denn schon wieder unterwegs?“, fragte Borvin und Cerubion nickte: „Noch etwas, dass seltsam ist. Sie schicken zwei los, die sich noch nicht vertraut sind während andere kaum die Burg verlassen und darauf warten auf Missionen geschickt zu werden.“ „Eure Arbeit in der Stadt und die Botengänge sind doch auch nicht zu verachten.“, entgegnete Borvin, was Cerubion nur ein verächtliches Schnauben entlockte: „Das mag wohl stimmen. Aber dafür wurden wir nicht ausgebildet.“ „Hmmh“, Borvin atmete tief durch. Es waren beunruhigende Worte, die Cerubion da von sich gab. „Hab Dank für deine ehrlichen Worte, Cerubion. Lass dich nicht entmutigen.“, sprach er zu ihm um sich zu verabschieden. Dieser nickte leicht: „Sei vorsichtig.“, dann öffnete er ihm die Tür zu seinem Gemach und Borvin fand sich wieder auf dem Flur vor. Langsam schritt er den Gang entlang, in Richtung seiner eigenen Behausung. Verloren die Gildenmeister langsam die Kontrolle? War wirklich Zauberei am Werk?